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Weltbilder

Indien: Der Knochenheiler von Delhi

Indische Straßenärzte warten auf Patienten.

Es ist nicht unbedingt die erste Adresse im engen Gassengewirr von Alt-Delhis Geschäftsviertel. Doch das Praxisschild von Haji Abdul Mannan Pahalwan ist weit über die Grenzen der indischen Hauptstadt hinaus bekannt. Und so ist auch an diesem Morgen das Wartezimmer, das gleichzeitig auch Behandlungsraum ist, überfüllt. Das in Indien übliche Schwätzchen wird hier nicht gehalten. Ehrfürchtig folgt die Patientenschar den nicht immer sanften Behandlungsmethoden des Meisters.

Wenn keine Klinik, kein moderner Doktor mehr helfen kann, dann muss der berühmte Knochenheiler seine Kunst der altislamischen Unani-Methode wirken lassen. Dann heißt es Fußzehen hoch, die Ferse durchgedrückt und die 86 Kilogramm Lebend-Gewicht von Haji Mannan lassen manchen um ein Beißholz bitten. Ob arm oder reich interessiert den Meister nicht. Unter seinen Händen und Füßen sind alle gleich.

Oft reichen Schiene und Bandage

Trotzdem - einige sind dann doch gleicher, wenn es um Mannans Lieblingssport geht. Hier hat er den Verpfuschten Unterschenkel von Ravindar Kumar in Arbeit. Zwei Monate schon plagt sich der junge Ringer mit einer Schienbeinfraktur, die ein Hospitalarzt falsch gerichtet hat.

"Die im Krankenhaus wollen immer gleich operieren. Aber wie man die Knochen richtet, davon haben die wenigsten eine Ahnung. Oft reicht eine Holzschiene und Bandage völlig aus. Das dauert natürlich länger. Aber die Leute heute wollen das alles schnell, schnell haben."

Sensible Finger

Der Knochenheiler Haji Mannan

Der Blick auf das mitgebrachte Röntgenbild ist auch für Mannan eine wichtige Hilfe - seine Kunst aber ist das Erfühlen des Bruches. Ohne Skalpell und OP-Besteck wird die Sache gerichtet. Eine spezielle, natürlich nach Geheimrezept angerührte Kräuterkieselpaste soll den Heilungsprozess fördern. "Sehen sie, wenn man es richtig macht, kann man solche Brüche relativ einfach richten", erklärt er.

Ringer brauchen Heiler

Ravindar, ist für heute verarztet. "Ich schau die Tage mal beim Training vorbei", sagt Haji Mannan noch, "wir müssen dich doch für den großen Wettkampf fit kriegen." Der große Wettkampf in vierzehn Tagen ist das alles beherrschende Thema im Sanjay Akkara Ringer Club von Delhi. Jeder will für dieses Ereignis in bester Kondition sein. Und so ist es für Trainer Jaghbir Singh gut, dass er einen fachkundigen Helfer an seiner Seite weiß. Verrenkungen und auch Knochenbrüche sind hier keine Seltenheit.

Haji Mannan ist hier so eine Art Mannschaftsarzt. Der Knochenheiler, der selber nie gerungen hat, ist heute bei fast allen Wettkämpfen dabei. Heute kümmert er sich um seinen Patienten Ravindar. Der darf zwar mit seiner Verletzung nicht in den Ring. Fit bleiben muss er aber trotzdem. "Na ja, ich bin zuversichtlich", sagt er. "Fühle mich zu 95% schon wiederhergestellt. Und mit des Doktors Hilfe und seiner intensiven Behandlung komm ich bestimmt rasch wieder zu meiner vollen Leistung", spricht der junge Ringer, und präsentiert stolz eine Kostprobe seines Könnens.

Wissen seit Generationen

Haji Mannan mit seinem 90-jährigen Vater

Sein Können verdankt Haji Mannan dem inzwischen 90-jährigen Vater. Auch er war einst ein berühmter Knochenheiler, so wie viele Generationen vor ihm. Heute beherrschen nur noch wenige jene Heilmethode, die einst vom griechischen Arzt Hippokrates ersonnen, seine Verbreitung in weiten Teilen Asiens fand. Nur in Pakistan und in Indien finden sich noch Könner dieses aussterbenden Faches. Haji Mannan weiß das und ist traurig darüber. Wenn sein Vater einmal nicht mehr ist, wird er in Delhi fast der Einzige sein, der in dieser Weise nach der Unani-Lehre behandeln kann.

Das alles aber wäre nichts, so der tiefgläubige Moslems, ohne die Hilfe und den Beistand Allahs, des Allmächtigen. Beim täglichen Moscheebesuch schöpft der Mann, der wenige Jahre Schule und nie eine Universität besucht hat, die Kraft für seine Passion die zur Berufung wurde.

Preisgeld lässt Schmerzen aushalten

So gestärkt, sieht Haji Mannan kurz darauf dem großen Ringerfinale in Delhis Alipur-Stadion mit Zuversicht entgegen. Die Verletzung bei Ravindar Kumar ist fast ausgeheilt. Ein Stützstrumpf muss reichen, dann wird der Junge von seinem Arzt für den Ring freigegeben. Klar habe das Bein noch ein bisschen wehgetan, so der Junge später, aber bei einem Preisgeld von 11.000 Rupien - umgerechnet knapp 200 € - lässt sich der Schmerz schon wegstecken, wenn man siegreich ist.

Mit Gottes Hilfe

Ein Ringkampf zwischen Männern

Kampf bestanden, Trainer und Mannschaftsarzt zufrieden. Es war ein guter Tag für den Sanjay Akkara Ringer Club. Später am Abend wird Haji Mannan noch einmal in seiner Praxis sitzen und mit seinem Gehilfen neue Heilelexiere zusammenmixen. "Es sind doch alles Gottes Gaben", weiß er zu berichten. "Der Allmächtige hat mir die heilenden Hände geschenkt. Und in meinen Gebeten bitte ich ihn darum, dass jeder, den ich behandle, durch ihn geheilt werden möge. Das ist das Wichtigste, der Rest, das was ich hier zusammenrühre, ist letztendlich nur Schlamm."

Bericht: Arnim-Paul Hampel, Dorothea Rieker
Kamera: Carsten Hohmann
Schnitt: Falk Peplinski

 

27.09.06 - 9:02

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