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Dienstag, Oktober 07, 2008

Ein Jahr in Istanbul

Dieses Buch war eine schöne Reiselektüre, die man auch noch auf den letzten Drücker oder erst in der Stadt lesen kann.

S.52 September 1955: Progrome gegen Griechen durch fingierten Brandanschlag auf Atatürks Geburtshaus im griechischen Thessaloniki. Atatürk ("Vater der Türken", eigtl. Mustafa Kemal)

S.97 Lärm

...der Kellner gibt mir zu verstehen, dass mein Handy klingelt. Er tut dies nicht etwa vorwurfsvoll, wie ein deutscher Kellner - entweder selbst vom Klingeln genervt oder aus Sorge, dass die Gäste es sind - es tun würde. Das Klingeln eines Telefons wird hier nicht als störend empfunden. Wie überhaupt Geräusche jedweder Art. Genau genommen kann es in Istanbul nie laut genug sein. Mindestens drei Geräuschquellen, so muss die ungeschriebene Regel hier besagen, sollten alle auf einmal Lärm machen.

s.126 Fasten

Wahrscheinlich habe ich mit meinem Ramazan alle meine türkischen Freunde vor den Kopf gestoßen. Sie können nicht verstehen, dass ich mich mit den Moslems solidarisch erkläre, mit den anatolischen Einwandereren , die mit ihrer Sippe auch den Islam nach Istanbul eingeschleppt haben wie einen Virus, der sich unaufhaltsam über die ganze Stadt ausbreitet.

Es ist nicht die arglose Arroganz, die etwa deutsche Großstädter den Leuten aus der Provinz gegenüber an den Tag legen, wenn der Istanbuler über die Einwanderer aus dem eigenen Land spricht. Es schwingt immer etwas Feindseligkeit mit und zeigt die tiefe Zerrissenheit dieses Landes: Die Kemalisten auf der einen Seite, die Islamisten auf der anderen. Dazwischen gibt es so gut wie nichts.

Wie ähnlich doch die Empfindungen der Istanbuler zu denen der westlichen Großstädter sind:

Wer sicht nicht rasiert - verliert:
Buschig und prächtig oder eher spärlich und zierlich, immer jedoch gepflegt. Erst der Schnurrbart macht den Türken zum richtigen Mann - zumindest in der anatolischen Provinz und in konservativen Kreisen.
Die Jugend zeigt sich glatt rasiert oder im schicken Dreitagesbart. Die klassischen Schnauzerträger mit grauem Kaufhaus-Standard-Jackett haben dort den Status eines Dorftrottels aus Hinteranatolien. Als schmierige Anmacher, als Röntgenci (Glotzer mit Röntgenaugen) sind sie unter jungen Frauen verpönt.

Susurluk - Wir fahren auch durch dieses Örtchen mit Geschichte:

Auf dem Weg von Bandirma nach Balikesir passiert man S., ein unbedeutendes Landstädtchen, dessen Name heute für einen der größten politischen Skandale der Türkei steht: Am 3.November 1996 raste hier ein Mercedes in einen Lastwagen. Drei Insassen starben: Der Ex-Vizepolizeichef von Istanbul, der Mafiaboss Abdullah Catli und dessen Freundin. Es überlebte der Parlamentsabgeordnete der Partei Tansu Cillers, Sedat Bucuk. S. gilt seitdem als Synonym der Verstrickung von Staat und Mafia.

Erstellt von tixus um 11:20 PM Kategorien: Buch
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