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Freitag, Februar 01, 2013

Neger, wichsen, Fickeisen

Oje, wenn die ZEIT schon auf BILD-Sprache macht ("unsere liebsten Kinderbücher" - das gerade Kritisierte ist dort ja auch immer gleich "unser bestes/liebstes/wertvollstes XYZ") macht, dann wirds ernst: Aber Sprache ändert sich und man muss sich wirklich fragen, warum es Leute wichtig ist, Neger oder anderes zu sagen? Weil "Menschen mit dunkler Hautfarbe" oder Schaumkuss albern klingt? Mag ja sein, dass sie das Wort als positive Kindheitserinnerung behalten wollen und es auch nicht rassistisch meinen; aber seitdem hat sich eben viel geändert:

Wenn die Hälfte der Menschheit sich von den schlechten Angewohnheiten der anderen Hälfte belästigt fühlt, dann wird es einfach Zeit, sich ein paar Dinge abzugewöhnen.

Und wie es dieser Artikel ganz gut trifft: "Weiße dürfen nicht bestimmen, wann sich Schwarze gekränkt fühlen". Und so sollten wir nachdenken, wenn neue Bezeichnungen wie "Menschen mit Lernschwierigkeiten" statt Behinderte/Idioten oder "Opfer sexualisierter Gewalt" auftauchen und diese dann annehmen.

Hier hat Hadija Haruna genau meine Meinung getroffen:

Reflektieren zu müssen, dass man einen rassistischen Begriff benutzt, obwohl man um seine abwertende Bedeutung weiß, ist schmerzhaft.
Man kann Astrid Lindgren und ihr Werk, das dem damaligen Zeitgeist entspricht, nicht umschreiben.... Wir reden hier ja nicht über Shakespeare. Wir reden über Bücher für Kinder.
Änderungen in der Literatur sind ja nichts Neues. Und andere Änderungen hat man hingenommen.

Man darf, ja man muss Texte dem Sinn nach anpassen und das passiert ja auch ständig: Kein "wichsen" findet sich mehr sondern putzen, kein Fickeisen sondern Bügeleisen, und darum kann auch der "Neger" bei Pippi L. ein Südseekönig sein, weil die Absicht genau diese war: Eine exotische, von weither stammende Person zu benennen und keine Ethnie. Es geht wie gesagt um KINDERbücher. Später kann wie in "Django Unchained" oder Mark Twain von Nigger, Neger usw. geredet werden, weil es eben auch die Absicht des Erzählers ist: Diffamierende Begriffe, Abwertung in Sprache und Gestus auszudrücken und den Figuren zuzueignen; erst Recht wenn es als Schulbuch dient.

Erstellt von tixus um 7:15 PM Kategorien: Buch, Gesellschaft

Donnerstag, Januar 31, 2013

Rechts ist Recht und Links ist Unrecht

Sehr abenteuerlich wo man so landet, wenn mal nach deutschen Filmen googelt: Die harmlos klingende Seite "Sezession.de" ist schon am Slogan als wenig demokratisch zu erkennen. Am schönsten ist, dass die Hälfte der Kommentatoren die Film nicht gesehen hat und trotzdem Blut und Wasser schwitzt - warum äussert man sich dann dazu? Wenn man dann noch solcherart bebilderte Beiträge liest, kann nur schwanken zwischen Stolz auf die Meinungsfreiheit und Hoffnung auf die wahlmündigen Bürger, dass sie diese Randgruppen immer schön bei 3% lassen.

Erstellt von tixus um 10:19 PM Kategorien: Gesellschaft

Mittwoch, Dezember 26, 2012

Wir alle und die DDR

Peter Schmidt in der ZEIT: Eine Gesellschaft könnte nach dem Motto "Alles ist erlaubt, was nicht verboten ist" kaum existieren. Ein nachdrücklicher Gedanke, der auf was alle Bereiche des Gemeinwesen zutrifft!

Ob "Der Turm" oder "Wir wolten aufs Meer" - diese guten Stoffe und Filme kann ich kaum mit Westdeutschen bereden - ich habe den Eindruck, dass vielen die jüngere DDR-Geschichte ziemlich egal und ewiggestrig ist - es reichen so schlimme Parodien wie "Sonnenallee", "Good bye Lenin" oder "NVA" (wann war Leander Haußmann eigentlich mal Theatermann?!). Und warum auch nicht könnte man leichthin sagen, wenn man schon immer Recht hatte und nichts hinterfragen muss.

Sei's drum - über Weihnachten besuchen wir die Ausstellung "Heimatkunde" (übrigens ein Unterrichtsfach in der DDR - ähnlich wie Naturkunde) - der Greifswalder Fotograf Robert Conrad hat den Zustand der Altstadt in den 1980-iger Jahren dokumentiert. Man erfährt etwas über das Experiment Reko-Gebiet: In den Städten Bernau, Gotha und Greifswald wurden versuchsweise in den Altstädten großflächig alte, dem Zerfall preisgegebene Häuser mit moderner Plattenbauweise rekonstruiert.

»Das Buch leistet einen wertvollen Beitrag zur politischen Bildung. Es widmet sich zwei voneinander nicht zu trennenden Themen, die exemplarisch für das Leben in der DDR wenige Jahre vor ihrem Zusammenbruch stehen. Einerseits geht es um den systematisch herbeigeführten Verfall und den folgenden unwiderruflichen Flächenabriss großer Teile des historisch gewachsenen Zentrums der alten Hansestadt Greifswald. Zum anderen geht es um das unangepasste Leben und die durchaus mutigen Versuche künstlerischer Äußerungen von Jugendlichen in der Universitätsstadt. Den besonderen Reiz dieses Rückblicks machen die künstlerisch beeindruckenden Fotografien Robert Conrads aus.«

– Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Der NDR hat hier einige Fotos zusammengestellt: Wenn man sich vergegenwärtigt, das diese Bilder aus den 1985-1989 stammen, dann kann man das heute kaum fassen - auch dieses Album zeigt sehr schön den Kontrast 1993-2003.

Es gab mehrere Gründe dafür: Statt ehemalige Villen mit Platz für wenige aufwendig zu restaurieren schaffte man durch industrielle, extensive Plattenbauten auf der grüne Wiese (z.B. "Schönwalde I und II") Platz für viele: Greifswald hatte auch durch die Erweiterung des KKW "Bruno Leuschner" eine progrostizierte Einwohnerzahl von 100.000 bis zum Jahr 2000; 1990 waren es ca 80.000, heute sind es noch ca. 55.000. Daher war die "Platte" durchaus gesellschaftlicher Konsens, denn sie war als moderner und bezahlbarer Wohnraum begehrt; Fernheizung+Vollbad integriert.
Auf der anderen Seite fehlten das Wissen, Handwerk und Geld für die komplizierte, teurer Restaurierung der Altstädte.

Und auch dies gibts leider in HGW: Rechtsextreme Schmierereien am Side-Grill - man beachte das Hakenkreuz beim "K" und das Herzchen auf dem Nazi....

Erstellt von tixus um 1:12 AM Kategorien: Gesellschaft

Samstag, Dezember 22, 2012

Safari in B

Den zweiten Teil meiner Vorweihnachtsfotosafari mache ich in Berlin:

Über Grenzen - dokumentarische Fotos der Ostkreuz-Agentur im HKW, sozial und gesellschaftlich engagiert, nichts unbedingt fürs Herz und die Augen, aber für den Kopf.

Unter Spielern - die deutsche Nationalmannschaft in sehr ästhetischen schwarz-weiss Bildern und ungewöhnlichen Augenblicken; alles vor dem prunkvollen Kontrast des Groupius-Baus - eine sehr gelungene Kombination.

Geschlossene Gesellschaft - DDR in Bildern, ein Querschnitt mit Anekdoten zu Farbfilm und schwarz-weiss, Sowjet-kritischen Bildern und dem alltäglichen Sozialismus.

Erstellt von tixus um 2:56 PM Kategorien: Foto, Gesellschaft

Montag, Dezember 17, 2012

Schule usw.

In der Zeit erklärt der Bildungsforscher Wilfried Bos einige Erkenntnisse aus der Iglu-Studie:

Bos: Es gibt dagegen kaum Studien über die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen. So gibt es in Deutschland mit seinen 16 Bundesländern sage und schreibe 69 verschiedene Sprachförderprogramme – nur zwei davon wurden auf ihre Wirkung hin untersucht.

ZEIT: Was können wir vom Ausland lernen? Bos: Lassen wir die Ostasiaten einmal außen vor...
ZEIT: Weshalb? Bos: In der konfuzianischen Tradition ist der Gedanke tief verankert, dass den Weg zum Aufstieg nur die Bildung öffnet. Wer etwa in China hoher Beamter werden wollte, musste eine schwierige Staatsprüfung ablegen, da wurde der Adel nicht bevorzugt. Das war schon vor 2.000 Jahren so. Bei uns ist der Gedanke des Aufstiegs durch Bildung erst rund 150 Jahre alt.

Bos: Zudem wissen die meisten Lehrer hierzulande nicht, wie man Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten nutzt, um Schüler gezielt zu fördern.
ZEIT: Kann man von den Lehrern nicht erwarten, dass sie sich das notwendige Wissen selbst aneignen? Bos: Die Lehrerinnen und Lehrer haben genug damit zu tun, den Unterricht vorzubereiten, sich um die Kinder und Eltern zu kümmern. Da sehe ich die Politik schon in der Bringschuld. .... Im Schulwesen hingegen werden laufend Reformen beschlossen, aber es gibt keinen Mechanismus, sie planmäßig in den Schulalltag zu tragen.

ZEIT: Lehrer fordern immer wieder, die Klassen zu verkleinern, um die Schüler besser zu fördern. Bos: Das ist leider die teuerste und wirkungsloseste Maßnahme. ... Die Klassengröße wirkt sich positiv auf die Schülerleistungen erst bei unter 16 Schülern pro Klasse aus, und negative Effekte messen wir ab 35 Schülern pro Klasse. ... Aber die Verkleinerung der Klassenfrequenzen ist wahnsinnig teuer. ... Wenn man dort die Klassenfrequenz etwa von 26 auf 24 Schüler senkte, dann kostete das 600 Millionen Euro pro Jahr!

Bos: Man könnte ... die Klassenfrequenzen moderat erhöhen und stattdessen mehr Speziallehrkräfte bezahlen, die die Schüler gezielt fördern.
ZEIT: Wie könnte das aussehen? Bos: Der Klassenlehrer etwa macht den normalen Unterricht. Die zusätzliche Lehrkraft, die mehrere Klassen betreut, holt mal die fünf schwächsten Schüler zusammen, um sie speziell zu fördern, oder auch die fünf besten, denen sie anspruchsvollere Aufgaben stellt. Für die Lehrer wäre dies eine Entlastung.

Bos: Die Lehrer sind nicht schuld daran. In ihrer Prognose berücksichtigen sie nicht nur die Leistung der Schüler, sondern auch das Umfeld. Ein Arbeiterkind hat nicht unbedingt die nötige Unterstützung in der Familie oder in der Schule, die es braucht, um am Gymnasium zu bestehen. Da entscheiden die Lehrer ganz rational. .... Wichtig wäre es zum Beispiel, mehr Ganztagsgymnasien einzurichten, die ihre Schüler besser betreuen.
ZEIT: Ganztagsschulen führen aber erstaunlicherweise ihre Schüler nicht zu besseren Leistungen. Bos: Das ist deswegen nicht erstaunlich, weil es dort bislang kein zusätzliches Lernangebot gibt. Man hat Milliarden investiert, um Mensagebäude einzurichten, aber kaum einen Cent in zusätzlichen Unterricht oder sinnvolle Ganztagsschulkonzepte.

Einige Zahlen dazu:

  • Mehr Schüler werden mit 5 Jahren eingeschult - 2001 2% 2011 6%
  • Anteil weiblicher Lehrkräfte - 2001 80% 2011 90%
Erstellt von tixus um 12:33 PM Kategorien: Gesellschaft

Samstag, Dezember 15, 2012

Oh Liebe, oh Anna

Anna Karenina.

Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich.

Anna: "Liebst du mich?" Graf Wronsky: "Ja!". "Warum?" "Liebe kennt kein Warum, Liebe ist."

An Lewin und Kitty wird der Umbruch verdeutlicht und die Frage, was Freiheit leisten aber auch nicht leisten kann: Lewin ist gegen die Leibeigenschaft, gibt seine Knechte und Mägde frei, aber erntet dafür nicht nur Verständnis bei ihnen: "Mein Vater hat euch wie Möbel besessen und verkauft." "Ja, aber schaut euch meinen Sohn an - er hat es jetzt schwer, Arbeit und ein Auskommen zu finden." Die Frage ist wohl, wer Freiheit von Existenzsorgen gegen die Freiheit zur eigenen Lebensführung aufwiegen möchte...

Der Originaltext ist übrigens frei verfügbar, aber auch länglich und nicht eben leicht zugänglich.

   

Erstellt von tixus um 11:35 AM Kategorien: Film, Gesellschaft

Sonntag, November 25, 2012

Leichte Sprache

QAktivoli veranstaltet einen Fachtag für Freiwillige und obwohl ich "gewaltlos kommunizieren" lernen wollte, bin ich zum Workshop 4 "Leichte Sprache": Ich lerne, dass es 6 Kompetenzgruppen für Sprache gibt - A1 (elementare Sprachverwendung), A2, B1 bis C2 (nahezu muttersprachliche Sprachbeherrschung). Die deutschen Leitmedien liegen bei C1 (fortgeschrittenes Kompetenzniveau) und man kann sich fragen, ob dadurch bereits viele Menschen ihrer (politischen) Teilhabe beraubt werden. Ein Beispiel für leichte Sprache gibt dieser Artikel.

Leichte Sprache ist nicht zu verwechseln mit "einfach, in Infinitiven, für Kinder" sondern soll einen aufmerksamen Umgang mit Sprache in Artikel, Handbüchern, Zeitungen hinweisen. Und komplizierte Dinge leicht und kurz auszudrücken ist ja sprichwörtlich schwer: "Für einen kürzeren Brief fehlte mir die Zeit!" oder "Mach es einfach, aber nicht einfacher". Das kann man auch auf der Arbeit anwenden, oder hier im Blog..

Aus den Workshops zur gewaltfreien Kommunikation (GfK) sind ein paar Hauptsätze über geblieben:

  • "Möchtest Du Recht haben oder glücklich sein?!"
  • Man kann verstehen ohne einverstanden zu sein.
  • Alle haben Recht.

Dieser Artikel bringt die Rolle der beiden Tiere der GfK nahe: Die Giraffe, das Landtier mit dem größten Herzen, spricht und hört mit dem Herzen. Der Wolf bewertet, analysiert, kritisert, lobt und straft - die anderen.

Erstellt von tixus um 7:24 PM Kategorien: Gesellschaft

Freitag, November 23, 2012

Leben fast forward

Kaffeesatz: Was lernt man bei Starbucks? "Wisst ihr was ein Ghetto-Latte ist? Den kleinsten Espresso bestellen und am Selbstbedienungsstand die ganze Milch reinhauen..." Aha.

MGMT: "Man trägt immer die Kleidung für den Job den man möchte, nicht den man hat!"

Zen: "Das Leben ist nichts was bewältigt, sondern gelebt werden muss!"

Film1: Caffe toGo: Alle auf Speed und keiner nimmt sich Zeit für niemanden.

Film2: "Work hard, play hard" - Im Treibsand des Kontrollwahns - ein vergnüglicher Abend mit Tanja+Nina+Bernds Brüdern, aber eine irrsiniger, weil krankmachenende Bestandsaufnahme der Arbeitswelt: "sehenswerte wie betrübliche Reise in der Endlosschleife des Optimierungs- und Nachhaltigkeitsgequatsches"

Erstellt von tixus um 7:55 PM Kategorien: Film, Gesellschaft

Samstag, Juli 28, 2012

Leise Männer

Meine Cousine hat mir mal gesagt: "Du bist nicht so ein richtiger Mann." Nach diesem Artikel, in dem ich mich schon häufig beschrieben finde, nehme ich das mal als Kompliment...

Nicht die Frauen müssen ihre Defizite, die sie vom Aufstieg abhalten, beseitigen, sondern Firmen müssen die Eigenarten der Frauen (und Nicht-Alphamänner) kennen und nutzen. "Frauen müssen nicht durchsetzungsstark sein, um einen guten Job zu machen", erklärt sie. Man kann auch leise und nicht kompetitiv gute Arbeit abliefern, so ihre Erfahrung."

Auf der selben Seite gibts nochwas zum Geschlechterkrieg bzw. der Geschlechterlüge - auch interessant:

Weibliche Matheschwäche stellt in westlichen Gesellschaften (im Unterschied etwa zu Asien) ein wirkmächtiges Klischee dar. Matheaufgaben können Mädchen und Frauen bei uns aber schon dann besser lösen, wenn sie vorher auf dem Testbogen nicht ihre Geschlechtszugehörigkeit ankreuzen mussten...
Und was ist mit den Kindern, die im frühesten Alter ihre kleinen Händchen nach entweder Puppe oder Bagger ausstrecken? Auch hierzu zitiert die Autorin Forschungsliteratur, wonach „doing gender“ schon in der Schwangerschaft einsetzt.

Erstellt von tixus um 11:10 PM Kategorien: Gesellschaft

Freitag, Juli 27, 2012

Ungesunde Gier

Nun ist es mir 2x in wenigen Tagen aufgefallen, also raus damit: "Experten, Branchenkenner" wollen mehr, mehr, mehr - es reicht nicht, 26 Millionen iPhones verkauft zu haben; es reicht nicht, der bestbesuchte Sequel zu sein - weil es NIE reicht. Das nenne ich ungesunde Gier (vgl. gesunde Gier :-D) - und wie wollen wir leben?!

Giert und kämpft und macht doch einfach ohne mich weiter....

Erstellt von tixus um 10:33 PM Kategorien: Gesellschaft

Donnerstag, Juni 28, 2012

Mesut erlöst nicht, Mats fummelt nicht, Thomas müllert nicht

Dann ist im Halbfinale Schluss! Schade.

Dabei gab es so schöne Artikel zum Aufstieg des deutschen Fußballs: Im Zeit-Magazin wird er beschrieben, der "Plan zur Anschaffung des Rumpelfußballs".

Nach einem bleiernen Jahrzehnt, in dem das Team mit Kampfgeist und Losglück bei Turnieren meist weiter kam, als es dem menschlichen Gerechtigkeitssinn entsprach, ist eine Generation von Hochbegabten herangewachsen. ... Mesut Özil und Sami Khedira. Inzwischen sind Götze, Hummels, Schürrle, die Bender-Zwillinge nachgekommen, alle Anfang 20, alle perfekt in der Ballannahme, präzise im Passspiel, schnell im Kopf.

Und er enthält neben wahren Sätzen auch erstaunliche Erkenntnisse über Boorti Vogts:

Bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich stehen die Deutschen mit ihrem letzten Aufgebot auf dem Platz. ... Im Viertelfinale werden sie von Kroatien mit 0:3 aus dem Turnier geworfen ... Gleichzeitig weiß Vogts so gut wie wenige andere, dass der deutsche Fußball diese tiefe Krise braucht. Vor dem Turnier hat er einem Jugendtrainer anvertraut, dass ein frühes Ausscheiden für den deutschen Fußball langfristig sogar das Beste wäre. »1996 war das«, sagt Bernd Pfaff, »da hat der Berti Vogts das zum ersten Mal angesprochen.« Obwohl die Mannschaft unter ihm noch einmal Europameister geworden war, habe Vogts darauf aufmerksam gemacht, dass es ein Nachwuchsproblem gebe. Der Bundestrainer wollte ein vom DFB koordiniertes Elitetraining, einen DFB-Coach in jedem Landesverband. ... Von den 23 Spielern des aktuellen EM-Kaders sind alle bis auf Miroslav Klose an Leistungszentren oder Stützpunkten traininiert worden.

Pfaff: »Talenterkennung in Spielsportarten ist schwierig. Viele Dinge werden später ausgebildet: Wille zum Beispiel. Oder Neugier. Sich organisieren zu können. Prioritäten setzen zu können. Die koordinativen, technischen, taktischen Fähigkeiten sind fast eher Grundvoraussetzungen.« Eine alte Fußballübung, die das Ballgefühl verbessern soll, ist das Pendeln des Balls zwischen beiden Beinen. Wenn der Ball dem Spieler vom Bein springe, ermahnten auch Profitrainer den Spieler gern, sich besser zu konzentrieren, sagt Lucassen. »Aber was ist Konzentration? Und woher weiß der Trainer überhaupt, dass der Spieler nicht konzentriert ist?« Acht Gründe hat er ausgemacht, die dazu führen können, dass einem Spieler bei dieser Übung der Ball vom Fuß springt. Einer der häufigsten ist, dass ein Spieler die Arme nicht symmetrisch hält. »Streit im Körper ist Streit mit dem Ball«, sagt er.

Genauso hat Mehmet Scholl auch die vertane Torchance von Thomas Müller erklärt, als diesem der Ball vor die Füße fällt und er ihn aus 1,5m nicht über die Linie bringt: Nicht die Konzentration sondern die Körperhaltung.

Erstellt von tixus um 10:03 PM Kategorien: Gesellschaft

Freitag, Mai 04, 2012

Beziehungsliebepartnerschaft

Unsgehtsjagutaberdenanderen? Darum diese gesammelten Erkenntnisse der Spiegel-Leser - durchaus bedenkenswerte Sätze:

Man muss verzeihen können und großzügig miteinander umgehen. Wichtig ist es, neugierig aufeinander zu bleiben, weil jeder Mensch sich ändern kann. Trösten, gemeinsam leiden und sich gegenseitig helfen sind ebenfalls gut für den Zusammenhalt - so wie der respektvolle Umgang mit den Eigenheiten des anderen. So hat man lange Freude aneinander und die Gewissheit, den richtigen Partner fürs Leben zu haben. Das alles kann Liebe sein.
Alfred Loschen, Minden (NRW)

Sexuell bestimmte Beziehungen sind niemals von langer Dauer. Sex ist Triebabfuhr, und oftmals fehlt es an der echten Liebe, welche mehr als ein Abenteuer ist. Sex dient der Muße, und diese kann ein ungebundenes Sichtreibenlassen sein. Ewige Liebe überwindet das Dionysische und Promiskuitive der Sexualität und gelangt durch gegenseitiges Verantwortungsbewusstsein zum Erfolg.
Bernhard Feghelm, Würzburg

Steckt hinter der "ewigen Liebe" nicht in 90 Prozent der Fälle die Angst vor Einsamkeit in einer emotionslosen, sachlichen Gesellschaft? Entwickeln sich Menschen im Verlauf von Jahrzehnten nicht auseinander, weil Routine und Rituale nun einmal das individuelle Denken und Fühlen nicht ersetzen können? Ist diese ganzheitliche parallele Weiterentwicklung von zwei Menschen nicht die seltene glückliche Ausnahme?
Josef Linsler, Würzburg

Erstellt von tixus um 1:13 AM Kategorien: Gesellschaft

Sonntag, April 29, 2012

Freiheit die ich meine - ein Leben im Falschen

Freiheit hat viele Facetten. Frau Recki hat sehr kluge Gedanken dazu:

Sie erinnern sich doch auch noch an den Gemeinplatz, dass Treue nichts anderes ist als ein bürgerliches Besitzverhältnis. Mehrere Generationen von Studenten haben so gelebt und entsprechend ihren Liebsten, ihren Lieben, ihren Partnern und sich selbst manche Kränkung angetan. Dieser grenzenlose Anspruch auf Freiheit - das ging einfach nicht.

Der Gerechtigkeitsbegriff lässt es ja zu, ökonomisch operationalisiert zu werden. Man denkt fast sofort an Verteilungsgerechtigkeit im Sinne wirtschaftlicher Güter. Aber an dem Diskurs, der sich vor der Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten entfaltete, störte mich doch sehr diese Gedankenlosigkeit, besser Begriffsstutzigkeit.

Er lässt gar keinen Zweifel dran, dass für ihn der Freiheitsbegriff mit Verantwortung zusammenhängt. Damit ist aber auch gesagt, dass er nicht irgendeine haltlose, anarchoide, rücksichtslose, völlig bindungslose Freiheitskonzeption vertritt, sondern dass es immer so ist, dass die Freiheit des einen ihre Grenzen an der ebenso berechtigten Freiheit des anderen findet, und damit ist die Frage nach der gleichmäßigen Sicherung von Ressourcen zur Realisierung der Freiheit aller bereits präsent. Man hätte sich die ganze Zeit schon klar machen können, dass er allein deshalb immer in der Nähe der Gerechtigkeit ist - und die Ignoranz, die da im Diskurs ausgelebt wurde, ist schon besonders verantwortungslos.

Es gibt doch einfach gedankliche Vorordnungs- und Nachordnungsverhältnisse: Was würden wir denn von einer Gerechtigkeit halten, die komplette Gleichverteilung aller vorhandenen Güter leistet, das aber in einer Diktatur? (Hier)... gibt es - ohne den Gedanken der Freiheit - durchaus die Möglichkeit einer Gerechtigkeit in einem totalitären System. (Man) ... kommt man zu dem Ergebnis, dass eine solche Gerechtigkeit nichts wert ist. Also eine, bei der ich alles zugeteilt bekomme, was ich zum Leben brauche und der Nachbar auch nicht mehr bekommt als ich, ich aber keine bürgerlichen Rechte habe, gerade auch Rechte gegen den Staat, die die freiheitliche Verfassung gewährt.

Frau Recki, zur linken Tradition gehört auch die Mutmaßung, es gebe kein wahres Leben im falschen - so Theodor W. Adorno. Und was meinen Sie?
Das "Wahre" wird sich wohl immer nur im Kontrast zum Falschen erkennen und ermessen lassen. Insofern kann man sagen: Wahres Leben gibt es in gewissem Sinne gerade nur im falschen. Es setzt doch den Kontrast voraus. Nur wenn ich ein Bewusstsein von dem habe, was falsch ist, unterziehe ich mich der Mühe, "das Wahre" herauszufinden.

Ich bin auch über eine Sendung mit R-D-Precht gestolpert, die den Begriff der positiven und negativen Freiheit erläutert. Allein schon die Beschäftigung mit diesen Gedanken macht zufriedener als ein neues Fahrrad oder Kamera.

Interessante Gedanken auch von Robert Misik:

Wenn die Konservativen im Grunde behaupten, dass erstrebenswerte Grundprinzipien wie „Freiheit“ und „Gleichheit“ wie kommunizierende Gefäße funktionieren, wir also, wenn wir Freiheit wollen, Ungleichheit in Kauf nehmen müssen, und umgekehrt, wenn wir mehr Gleichheit wollen, dafür die Freiheit opfern müssten, dann haben sich die Linken ein wenig in dieses Setting gefügt: Sie haben den Konservativen den Freiheitsbegriff überlassen und sich ganz auf die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „mehr Gleichheit“ kapriziert.

Das ist natürlich eine Falle: Denn „Freiheit“ und „Gleichheit“ sind keine Antipoden, sondern Zwillinge. Freiheit unter den Bedingungen von Ungleichheit hat grob freiheitseinschränkende Wirkungen für jene, die weniger begütert sind, die weniger materielle und kulturelle Ressourcen haben.

Erstellt von tixus um 10:01 PM Kategorien: Gesellschaft

Sonntag, März 25, 2012

Ost-West Tino Russendisko

Wir gehen auf Kampnagel zu SheShePop und Schubladen - ein vergnüglicher Abend mit Ost-West-Erinnerungen und Gegenüberstellungen: Viele ist und war unterschiedlich ("War dein Vater Kapitalist/Kommunist?", "Warum trinken die Ost/Westfrauen immer Wodka/Prosecco?") aber einiges haben wir dann auch gemeinsam: "Wann hab ich die Wetterkarte eigentlich nicht mehr erkannt?!". Interessant ist, das unterschiedliche Herangehensweisen zu ähnlichen Ergebnissen führen: Die selbstbewusste Erziehung/Aufklärung im Osten durch weibliche Vorbilder und die unkomplizierte Verschreibung der Pille gegen die 68er und ihre Durchbrechung der alten Moralen und Beziehungsmodelle.

Geblieben ist die unterschiedliche Faszination mit Russland - während Russendisko und Vladimir Kaminer erfolgreich sind (was ich ihm gönne), hält sich mein Interesse und auch der Unterhaltungswert des Films sehr in Grenzen - die schwere, melancholische russische Art kann einem als Ostdeutschen schon mal auf die Nerven gehen und die russischen Weisen sind nicht so interessant wie Südamerika oder Südostasien... Und es gab eben auch schon andere (schlechte) Ostalgie-Filme wie Sonnenallee, NVA oder Goodbye Lenin, die westdeutsche Deutungshoheit und Unterhaltsansprüche befriedigen sollten - mich hat dann eben eher "Herr Lehmann" oder "Der kleine Bruder" angesprochen.

Weiterhin geht mir das (westdeutsche) Unvermögen auf den Sack, sich nur einen Namen einer Gruppe merken zu können: TINO mit "N" ist auch möglich; und kein Schreibfehler oder so, wie mir an der Kasse unterstellt wurde. ("Ah, ungewöhnlicher Name, ich dachte das ist bestimmt ein Tippfehler...")

Erstellt von tixus um 7:19 PM Kategorien: Gesellschaft

Sonntag, März 04, 2012

Jauck

(c) Eli Pariser
Schweinejournalismus und Zitate-Kampagnen - ein mehr an Informationen führt zu einem mehr an Desinformationen. Zumal sich viele neue Meinungsschafffende keinem handwerklichen Mindeststandard unterwerfen, sondern die Zitate so biegen dass es passt. Die Debatte über Gauck zeigt es sehr deutlich: Occupy-Abwertung, Hartz-4-Verhöhnung, Holocaust-Verharmlosung, Sarrazin-Lob - alles wurde geschrieben, nichts davon ist bei Betrachtung der Originaltexte haltbar...

Einige Journalisten machen wenigsten ihren Job: Sascha Lobo verweist auf Breitenbach, dieser auf wirres.net und dieser auf einen TED-Talk von Eli Pariser mit der Filterblase (geile Präsentation mal so nebenbei)- alles sehr interesssant!

Erstellt von tixus um 1:10 PM Kategorien: Gesellschaft

Sonntag, Januar 29, 2012

Fürn Kopp

Die taz ist doch immer wieder gut fürn Kopp: Artikel wie dieser sind gute Anregungen, über den Tellerrand zu schauen:

Frankreich und Armenien und die Geschichte (mirror):

In Frankreich dagegen soll mit dem Gesetz die Leugnung der Vernichtung bestraft werden. Daraus ergeben sich fünf Probleme.

  1. Außer den für alle geltenden Gesetzen unterliegen Historiker keinen gesetzlichen Vorgaben, sondern nur den methodischen Regeln nach dem Stand der Wissenschaft. Historiker sind keine Richter, sie verkünden - anders als diese - keine Urteile auf der Basis gesetzlicher Normen, sondern präsentieren Erkenntnisse ihrer Arbeit, die permanenter Fachkritik ausgesetzt sind und durch neue Erkenntnisse überholt werden können
  2. Zweitens: Der Straftatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde bei den Nürnberger Prozessen 1945 geschaffen und ist ins Völkerrecht eingegangen. Die Begriffe Völkermord oder Genozid, seit 1948 Begriffe des Völkerrechts, haben trotzdem "eine magische Aura" - so der Historiker Pierre Nora, der sich intensiv mit Erinnerungskulturen beschäftigt hat. Wie viele Historiker plädiert er dafür, statt dieser Wörter etwa Vernichtung, Ausrottung oder Massenverbrechen zu verwenden, die weniger "emotional, politisch und ideologisch" kontaminiert seien. Es ist genau diese Kontamination der Begriffe, die - je nach Bedarf - der Sakralisierung oder Banalisierung von historischen Verbrechen Vorschub leisten. Die Sakralisierung wie auch die Banalisierung stehen der historischen Aufklärung aber im Weg.
  3. Drittens: Die Verteidigung des Gesetzes gegen die Leugnung des Massenmords an den Armeniern verdankt sich dem Vergleich mit der Ausrottung der europäischen Juden. Dieser Vergleich trägt nicht, denn Frankreich hat weder mit den Opfern des Verbrechens noch mit den Tätern auch nur das Geringste zu tun.
  4. Viertens: Aus juristischer Sicht bezweifelt der ehemalige französische Justizminister Robert Badinter die verfassungsmäßige Zuständigkeit der französischen Legislative für ein Gesetz zu den geschichtlichen Vorgängen in Armenien und im Osmanischen Reich 1915 ebenso wie die Kompetenz des Parlaments, "offizielle historische Wahrheiten" zu verkünden.
  5. Auch politisch und moralisch gesehen, hat der Staat nicht die Aufgabe, historische Wahrheiten festzuschreiben, wohl aber dafür zu sorgen, dass die Erinnerung an die Opfer durch Erziehung und andere geeignete Mittel gepflegt wird.
Erstellt von tixus um 12:13 AM Kategorien: Gesellschaft

Freitag, Januar 13, 2012

Vom Sinn des Lebens

Was ist wichtig? Eine tolle Frau und gute Freunde - hab ich!

Und was ist nicht wichtig?

Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf.

-Sokrates

Dazu passt ebenso dieser taz-Artikel zu Glückssuche und Zeitknappheit:(mirror)

Für mich ist Glück oder das, was wir für den Vollzug von Glücklichsein halten, nicht objektivierbar. Es orientiert sich an dem, was wir für normal halten. Wenn ich jedes Jahr zu Weihnachten eine bestimmte Menge Geschenke kriege, werde ich eine Abweichung nach unten als schmerzhafte Reduktion empfinden.

Die Frage lautet immer: Was kann ich noch zusätzlich erfahren, besitzen, mir aneignen? Welchen Ort könnte ich noch anfliegen, um den Radius meiner Glücksuche zu vergrößern? Das führt direkt in unser Hauptdilemma: Wir konsumieren so viel, dass uns die Zeit fehlt, um dabei glücklich zu sein - und nicht das Geld.

Die Kunst des glückstiftenden Konsums besteht nicht im Verzicht, sondern in der Reduktion und Konzentration auf eine verarbeitbare Anzahl von Aktivitäten, die man so ausschöpft, dass man über diese Konzentration sein Glück steigert.

Der Green New Deal ist eine Schimäre: Es gibt keine nachhaltigen Produkte, es gibt nur nachhaltige Lebensstile. Die Technik kann keine Naturgesetze aushebeln, sie kann sie nur anwenden. Technik verbraucht immer Energie, Fläche und Substanzen. Selbst erneuerbare Energien sind längst an der Schwelle, wo nicht mehr klar ist, ob sie Teil der Lösung oder Teil des Problems sind.

Selbst erneuerbare Energien sind nur vertretbar, wenn sie nicht additiv sind, sondern dafür bereits verbaute Flächen oder Infrastrukturelemente genutzt werden. ..Wenn Umweltbewusstsein allein durch Beteuerungen und symbolische Akte, die obendrein additiv sind, zum Ausdruck kommt, bringt das nichts. Letztlich wachsen dank Hybridautos oder Passivhäusern jene Strukturen, die auch in optimierter Form nicht ökologisch werden können.

Es ist die Logik einer Bild, zu sagen: Expansion ist Freiheit und Reduktion ist Unfreiheit. Bei unvoreingenommener Betrachtung lassen beide Richtungen keine Assoziation auf freiheitseinschränkende Politik zu. Es ist eine Erhöhung der Freiheit, wenn Menschen nicht mehr nur die Option haben, in die Karibik zu fliegen …
… sondern auch die Freiheit, nicht in die Karibik zu fliegen?
Ja, indem sie gelebte Praktiken sehen, die mindestens so glückverheißend sind und nicht auf dieser zerstörerischen Mobilität beruhen. Andersherum wird ein Schuh draus: Derzeit herrscht eine Diktatur der expansiven Glücksuche.

Bei mir sind die glücklich machenden Konzentrate das Bloggen, die Fotografie, Bücher lesen - aber auch Flugreisen.

Erstellt von tixus um 3:28 PM Kategorien: Gesellschaft

Sonntag, Januar 08, 2012

Was ich nun besser verstehe

Miriam Meckel erklärt sehr schön, wann man einen Bundespräsident braucht - und wann eben nicht:

Vielleicht reicht die Idee des heutigen Berufspolitikers von seinen Aufgaben und Pflichten nicht mehr aus, um ein Amt auszufüllen, wie das des Bundespräsidenten einmal gedacht war. Vielleicht hat SPD-Chef Sigmar Gabriel das Problem auf den Punkt gebracht, als er stichelte, Wulff bringe nur "eine politische Laufbahn" mit, sein Gegenkandidat Gauck hingegen habe "ein Leben" vorzuweisen.
Nur ist das Amt des Bundespräsidenten ja eben keines der Berufspolitik, sondern eines, das nahezu über den drei Staatsgewalten schwebend betrachtet wird. ... Die Anforderungen an moralische Integrität, politische Autorität und Unabhängigkeit sind beim Bundespräsidenten hoch. Wären sie es nicht, bräuchten wir dieses Amt nicht mehr. ...
Christian Wulff fordert Respekt vor dem Amt ein und lässt diesen doch selbst vermissen. Er will nicht das Amt vor Beschädigung schützen, sondern das, was dieses Amt ihm und seiner Familie ermöglicht. Er ist der engagierteste Personenschützer in eigener Sache, den ein Bundespräsident jemals hatte. In dieser Hinsicht war das Fernsehinterview am Mittwochabend eine Selbstoffenbarung. ...
Christian Wulffs Umgang mit der Wahrheit ist ein taktischer. ...
Christian Wulff denkt das Amt als seine Errungenschaft, die er so schnell nicht aufgeben will. ... Seine Leidenschaft richtet sich auf die eigene Person, nicht auf das Amt. Damit das nicht noch offenkundiger wird, kann er nicht ,ich' sagen, wo es nötig wäre. "Man wird ein bisschen demütiger, man wird lebensklüger", mit solchen Sätzen spricht Wulff von sich in der dritten Person, so als ginge es gar nicht um ihn, sondern um irgendeinen bedauernswerten Menschen.

Ist es spießig, altmodisch oder weltfremd, sich einen Bundespräsidenten zu wünschen, der die Lernprozesse für das Amt vor Amtsantritt durchlaufen hat? Der als moralische Autorität gilt und zu wichtigen Fragen der Zeit Stellung nehmen kann ... ?
Der das Amt als Gabe und sich selbst als zeitlich begrenzten Amtsträger sieht? Wenn das spießig, altmodisch oder weltfremd ist, dann gilt das auch für Amt des Bundespräsidenten. Dann brauchen wir es nicht mehr.

Wenn nicht mal der erste Mann im Staate beispielgebend dafür ist, dass er nicht nur "von", sondern vor allem "für" die Politik, sprich das politische Wohlergehen eines Landes lebt, dann dürfen wir uns über die vielen anderen, die Amts- und persönliche Interessen locker vermischen, nicht wundern. Dann wird die politische Ich-AG zum Normalfall.

Erstellt von tixus um 7:25 PM Kategorien: Gesellschaft

Freitag, Oktober 21, 2011

Die Gier, die nach **** in mir

Nach langem Verschieben schaue ich bei Krankheit endlich mal die wirklich tolle Doku über "Enron - the smartest guts in the room" - ein unglaublicher Wirschaftskrimi über das Gute und Böse der Gier nach Macht, Geld und noch mehr Geld.

Es fällt einem wirklich schwer, danach an verantwortungsvolle Unternehmer, Trader oder auch niedere Angestellte zu glauben - das ist sicher nicht fair. Aber hier wurde das Extremum, das Schreckgespenst einer entfesselten, deregulierten und auch jeglicher Moral entledigter Marktsituation wahr: Wenn man gesehen hat, wie die Deregulierung und die Beschwörung der "Magie des Marktes" (O-Ton Ronald Reagan) von den Protagonisten geradewegs dazu genutzt wurden, diese vermeintlichen Regeln zu unterlaufen, zu manipulieren und gerade keinen freien, für alle gleichen Markt zu schaffen, sondern sich mit miesen Tricks Vorteile zu verschaffen.

Dazu gehörte die Ausnutzung von "kreativen" Bilanzierungsverfahren ("mark-to-market accounting"), die projizierte, aber noch in der Zukunft liegende und womöglich nie erzielbare Umsätze bereits bilanzierbar macht; aber auch die einfache, bewusste Verknappung von Enerigie durch vermeintliche Kraftwerksstörungen z.B. in Kalifornien, um danach zum höheren Preis wieder Energie zu liefern.

Gerade der Fall der Deregulierung des kalifornischen Stromsmarktes und die beschriebene Hatz auf "Loopholes" im Gesetz zeigt die Ambivalenz der Triebkraft "Gier": Die Gesetzesmacher haben nie denselben Antrieb und Ehrgeiz wie die Energiehändler, die sich sofort darauf stürzen und die immer verbleibenden Lücken ausfindig und nutzbar machen. Inbesondere der völlig wertfreie Energiehandel und die Kommentare der Trader schockieren in dieser Doku: Es regiert der blanke Wolfsrausch...

Es ist interessant, dass es wieder mal Frauen sind, die sich dem Treiben versagen und den Skandal am Ende aufklären helfen:
Sherron Watkins oder auch Amanda Martin-Brooks:

  

Erstellt von tixus um 1:32 PM Kategorien: Film, Gesellschaft

Mittwoch, Juli 27, 2011

U-Bahn

Die Leudde vergessen SOFORT ihre alte Rolle sobald sie eine neue einnehmen: Vom Rad gestiegen und direkt auf den Radweg latschen; gerade noch in die U-Bahn springen und direkt den Einstieg für den Nachfolger blockieren; "Können Sie bitte durchrücken? Nein ich sitz' ungern am Fenster." - janeisklar...

Erstellt von tixus um 3:09 PM Kategorien: Gesellschaft

Samstag, Januar 29, 2011

Couch

Eine interessante Analyse "gewaltbereite[r] arabische[r] Jungmänner",(mirror) die gut zur Verständigung zwischen den Kulturen beitragen kann:

Die Jugendlichen kommen in meine Praxis voller Hass auf ihre unfähigen Väter. Und da sie ihren Vater nicht überwinden können, verschieben sie die Aggressivität nach außen.
Die Jugendlichen hier in Deutschland können ihre arbeitslosen, untätigen Väter, die man nicht mehr braucht oder nie wollte, nicht akzeptieren.
In der arabischen Kultur hat der Patriarch eine absolut dominierende Rolle. Wir Araber verfügen sozusagen über ein rigides Über-Ich, das uns jede Art von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit erschwert. Viele Jungen werden geschlagen, damit aus ihnen tapfere Männer werden. Stets sind sie autoritärem Zwang ausgesetzt.
Die autoritäre Erziehung schwächt das Bewusstsein der Männer und beeinträchtigt ihr Selbstwertgefühl.
Wissen Sie, es gehört viel Mut dazu anzuerkennen, dass man ein Problem hat. Aber in einer Gesellschaft, wo der Makel Strafe hervorruft, ist es fast unmöglich, darüber zu sprechen. Deshalb fürchten sich viele arabische Männer vor der Psychoanalyse (...)
Die Menschen haben Probleme, zwischen Kritik und Beschimpfung zu unterscheiden, das ist ein narzisstisches Problem. So entstehen Verleugnung und Projektion.

Erstellt von tixus um 1:00 PM Kategorien: Gesellschaft

Sonntag, Dezember 26, 2010

Thingama

Der Artikel ist schon etwas älter (ich arbeite alle meine (elektronischen/papiernen) Ablagen ab), aber sehr interessant und neu für mich: Thing Studies und Konsumismus

Bekanntlich machte nicht der Kapitalismus dem real existierenden Sozialismus den Garaus. Der Kapitalismus ist bloß eine Wirtschaftsform, keine Ideologie - der Sieger war der Konsumismus, mehr als eine Ideologie, eine Lebensform.

Es wäre also nützlich, sich die Dinge, die im Zentrum des Konsumismus als Lebensform stehen, unabhängig von den Vorgaben der Kulturkritik (die meist von Martin Heidegger stammen) anzuschauen. Und tatsächlich, in der angloamerikanischen Welt, die uns wieder einmal voraus ist, beschäftigt sich eine ganze Disziplin mit "Thing Studies" und "Material Culture Studies".
Ihr Meister ist gewiss Daniel Miller, britischer Anthropologe, Jahrgang 1954, der schon 1998 eine "Theory of Shopping" veröffentlicht hat. Das von ihm nun auf Deutsch erschienene Buch "Der Trost der Dinge" zeichnet 15 Porträts ... - wobei eine von Daniel Millers wiederkehrende Pointe ist, dass der Konsum, anders als die Kulturkritik es will, den Konsumenten nicht einsam macht (mit der Bierflasche vor dem Fernseher verdämmern), nein, die Dinge vergesellschaften die Leute.

... dass das Angebot strikt genormt ist, störte den Literaturprofessor; der Gedanke taucht ebenso bei dem oben zitierten Philosophieprofessor, Konrad Paul Liessmann, auf: Es handelt sich allerdings um ein kulturkritisches Klischee. Schaut man wie Daniel Miller den Leuten wirklich zu, erweist sich der Konsum als hoch individualisierte Praxis. Es ist wie mit dem Lesen: Jeder liest sein eigenes Buch.

"Unser Hang zum Materialismus verschuldet sich zu großen Teilen dem paradoxen Bedürfnis, die Fluidität des Bewusstseins in die Solidität der Dinge umzuwandeln", heißt es in einem Sammelband mit ausgewählten amerikanischen Thing Studies, das Korsett, die Nähmaschine, Tupperware, der Fernseher.

Daniel Miller: "Der Trost der Dinge. Fünfzehn Porträts aus dem London von heute". Suhrkamp, Berlin 2010. 230 Seiten, 15 Euro
Anke Ortlepp/ Christoph Ribbat (Hg.): "Mit den Dingen leben. Zur Geschichte der Alltagsgegenstände". Franz Steiner, Stuttgart 2010. 339 Seiten, 26,90 Euro
Konrad Paul Liessmann: "Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen". Paul Zsolnay, Wien 2010. 208 Seiten, 17,90 Euro

Erstellt von tixus um 2:55 AM Kategorien: Buch, Gesellschaft

Mittwoch, Dezember 08, 2010

Bloody mobile

Ich suche mal wieder ein neues Handy, evlt. kann ich mir was zu Weihnachten schenken - die Kriterien sind leichtes Sync mitm Organiser (Exchange/Firebird), Gewicht (<<100g), Größe/Tiefe (<10mm), GPS und Java-Interpreter, kein Slider, Qwertz-Tastatur evlt. Da lese ich dann in derc't was vom Palm Pixie Plus (leider ohne Java-MIDP), Nokia C5/C6 (ziemlich dick+schwer) oder Huawei Vodafone 845. Nebenbei fällt mir die Doku "Blutiges Handy" wieder ein, die zeigt, wie schön bequem und weit weit weg die Probleme unseres Konsums und Alltags sind.

After visiting the mine Frank Poulsen struggles to get to talk to Nokia, the Worlds largest phone company. Frank Poulsen wants them to guarantee that they are not buying conflict minerals and thereby is financing the war in the Congo. Nokia cannot give him that guarantee.

Erstellt von tixus um 9:02 PM Kategorien: Gesellschaft

Samstag, Mai 01, 2010

Kinderkrankheiten

Ich lese etwas über "Selektiven Mutismus":

Stilles Kind, stumme Pein: Sie verstummt, wenn der Lehrer eine Frage stellt - erstarrt, wenn sie Brötchen kaufen soll. Luisa kann nicht mit jedem und überall sprechen. Die Elfjährige leidet an selektivem Mutismus ... Luisa leidet an einer emotional bedingten Sprachstörung, die wenig bekannt ist, aber nicht selten vorkommt. Selektiver Mutismus beschreibt die Unfähigkeit, in bestimmten Situationen oder mit bestimmten Personen zu reden. Dabei beruht selektiver Mutismus nicht auf fehlenden Sprachfertigkeiten oder ausgeprägter Schüchternheit. Vielmehr handelt es sich um eine Blockade, in die Betroffene geraten. Eine Art Schockzustand... Die Kinder verhalten sich zu Hause völlig normal, manchmal sogar extrem lebhaft. Aus Nachholbedarf.

und ich höre etwas über Körperkontaktstörung (Körperkontaktstörung (sog. Schreikinder, Kind lehnt Schmusen ab) ):

Im Bereich der taktilen Wahrnehmung (etwa Berührungsempfinden und Körperkontakt) werden von unterschiedlichen Autoren bei Kindern sogenannte Körperkontaktstörungen beschrieben, betroffene Kinder meiden Umarmungen und Körperkontakt im Sinne einer taktilen Reizüberflutung, sie verfügen über mangelnde Möglichkeiten, sensorische Reize adäquat zu verarbeiten.

Man könnte versucht sein, darüber zu lächeln, welche "neue" Krankheiten und Absonderheiten diagnostiziert werden (ADHS-"Zappelphillip"), was den Eltern eingeredet wird und wie übervorsichtig und verkopft die Erziehung zuweilen scheint: Aber man kann sich nur schwer vorstellen, was Betroffene durchleiden müssen und wie wichtig es für eine angemessene Therapie ist, einen Begriff, die Anerkennung und Diagnose einer solchen Störung ist.

Erstellt von tixus um 7:50 PM Kategorien: Gesellschaft

Mittwoch, November 18, 2009

Hinrichtungen in der DDR

Was so alles ans Licht kommt, Jahre danach: 64 Menschen wurden standrechtlich erschossen:

Die Todesstrafe in der DDR: 64 Menschen wurden in der zentralen Hinrichtungsstätte in Leipzig exekutiert. Das letzte Opfer ist Werner Teske: Doktor der Volkswirtschaft – und Stasi-Spion. Der Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wird wegen „schwerwiegenden Landesverrats“ von einem Militärgericht zum Tode verurteilt.

Mielke ist im O-Ton zu hören: Die werden weggemacht, ohne Gnade. Es wird sogar nach DDR-Recht Rechtsbeugung (er hätte nur bei vollendetem Verrat die Todesstrafe bekommen können) begangen, Totenscheine werden gefälscht und die Angehörigen jahrzehntelang im Ungewissen gelassen. Leider ist der Begleittext mal wieder boulevardesk verkürzt: "Sein Vergehen: Teske hatte mit dem Gedanken gespielt, in den Westen zu fliehen." Richtig ist, dass er hatte geheime Unterlagen gesammelt hat, um sie als Eintrittsgeld für den Westen zu benutzen. Damit hätte er evlt. auch anderen schaden können. Dafür verdient er keinesfalls den Tod, eine Straftat war es aber.

Das der eigene Staat einen dazu bringt, ist die große Klammer um diese Tragödie.

Erstellt von tixus um 9:04 PM Kategorien: Gesellschaft

Samstag, Oktober 17, 2009

taz-Wochenend-Blog

taz-Nachlese

Nicht nur weil wir gerade wieder auf dem Weg in ein islamisch geprägtes Land sind, ist dieser Artikel und die besprochenen Bücher interessant (mirror), sondern er zeigt auf, das der Islam keine stromlinienförmige und von wenigen Geistlichen gelehrte und geführte Religion wie zum Beispiel der Katholizismus ist.

Die Muftis und die Moderne

ISLAMISCHES RECHT Steinigung und Ehrenmord - ist das alles? Allah bewahre! Zwei Überblicksdarstellungen zeigen das weite Spektrum islamischer Rechtsauffassungen

Mit Nachdruck hingewiesen wird vor allem auf die in Saudi-Arabien, Sudan und anderen islamischen Staaten vollstreckten drakonischen Körperstrafen und die Ungleichbehandlung der Geschlechter. All dies sei mit den freiheitlichen Normen eines säkularen Verfassungsstaates unvereinbar und deshalb hätten die westeuropäischen Zuwanderungsgesellschaften mit Teilen der wachsenden muslimischen Bevölkerungsgruppe ein ernstzunehmendes Problem.

Gegen diese einseitige und letztlich verzerrende Darstellung des islamischen Rechts wendet sich das neue Buch des Erlanger Islamwissenschaftlers und Juristen Mathias Rohe. "Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart" zeigt auf über 600 Seiten, dass es das eine islamische Recht zu keinem Zeitpunkt gegeben hat.

Mathias Rohe: "Das islamische Recht - Geschichte und Gegenwart"/Lukas Wick: "Islam und Verfassungsstaat. Theologische Versöhnung mit der politischen Moderne?"

Dann ein Artikel zu Vorurteilen (auch bei mir!) und wie Statistik unser Leben ruinieren kann ;-): (mirror)

Das überschätzte Gewicht KÖRPERBILDER
"Dick sein" wird negativ bewertet - warum eigentlich? Eine Initiative und ein neues Buch kämpfen gegen die Semiotik der angeblich "ungesunden", "doofen" und "undisziplinierten" Dicken

Am Unglaublichsten finde ich die Entstehung des BMI:

Doch aus den USA trat in den 90er-Jahren der Body Mass Index (BMI) auf den Plan. Bei dieser Formel multipliziert man die Körpergröße in Metern mit sich selbst. Dann teilt man das Gewicht durch diesen Wert. Eine Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf legte 1997 fest, dass ein Mensch mit einem BMI größer als 25 als "übergewichtig" und größer als 30 als "adipös", also fettleibig, zu gelten habe. Dies war eine statistische Festlegung ohne fundierte medizinische Begründung.

Die Beispiele zeigen schon, dass da etwas nicht stimmen kann:

Der BMI ist dabei ungenau, denn auch ein gut trainierter Mensch wie Brad Pitt hat einen "übergewichtigen" BMI, weil Muskeln schwerer sind als Fett. Außerdem steigt der BMI mit dem Alter und das ist nun mal keine Krankheit.

Zu den Vorurteilen:

Frauen und Männer aus den unteren sozialen Schichten essen beinahe genauso viel Obst wie Frauen und Männer aus der Oberschicht. Es kann also auch an den stressigen Lebensbedingungen, den niedrigen Preisen für kalorienreiche Lebensmittel und vielleicht auch der Verweigerung gegenüber bürgerlichen Körpernormen liegen, dass ärmere Menschen im Schnitt dicker sind.

Also stimmt es schon, dass ärme Menschen "im Schnitt" dicker sind. Die angeführten Gründe könnte man jedoch auch dem Kreislauf "weniger Bildung->weniger Einkommen->billigere Lebenmittel und schlechtere Wohnverhältnisse->mehr Stress" zuschreiben

Zuletzt noch etwas aus dem Nahen Osten (mirror): Dazu hatte ich mal auf einen Bildband verwiesen.

"Ich werde nicht den Mund halten" ENTSCHLOSSENHEIT Omer Goldmann hat in Israel den Kriegsdienst verweigert. Dafür kam sie ins Gefängnis. Sie wehrt sich gegen die Militarisierung der israelischen Gesellschaft.

Mich hat nicht so sehr der Militärdienst oder dessen Ablehnung interessiert, sondern analog zur DDR die Erkenntnis, das selbst jahrelange Indoktrinierung in Schule, Pioniergruppen oder Betrieb nicht wirken müssen:

Wo erleben Sie denn das Militärische in der Gesellschaft? Die Armee ist allgegenwärtig. Unsere Schulbücher sind voller Erklärungen, warum es wichtig ist, dass wir uns verteidigen. Dahinter steckt immer das Bild von einem Feind. Universelle Werte wie Solidarität, Frieden, Humanität, Geduld anderen Kulturen gegenüber, die gehen dabei verloren. Der Protest unserer Organisation richtet sich nicht gegen die Armee, sondern gegen die israelische Regierung... Dass man für zivilen Ungehorsam ins Gefängnis kommt, ist zutiefst inhuman. Es ist in Israel wirklich ganz normal, dass man zur Armee geht. Soldat sein, das ist wie atmen, wie essen, wie lernen.

Aber verständlich wird auch, dass sich eine Vielzahl Jugendlicher in ihr eigenes Leben zurückzieht:

Begehren viele junge Leute auf so wie Sie? Ich empfinde die meisten jungen Leute als abgestumpft. Es interessiert sie nicht, was in den besetzten Gebieten passiert. Es interessiert sie nicht, dass es in Israel Armut gibt. Davon erfahren sie nichts. Kritisches Denken wird nicht unterrichtet.

Machen die sich wirklich keine Gedanken um solche Themen? Kommen Sie, gucken Sie es sich an. Die wenigsten in Israel stört der militärische Mythos. Niemand nimmt im öffentlichen Leben Anstoß daran, dass überall Soldaten mit M 16-Gewehren rumlaufen. In jedem Zug, an jeder Straßenecke. Eine M 16, verstehen Sie, ist ein ganz normaler Gegenstand. Es ist normal für Leute, neben einer M 16 zu schlafen. Sie akzeptieren das. Viele, die das nicht ertragen, die das System kritisieren und Widerstand leisten, geben auf. Sie gehen dahin, wo die Gesellschaft nicht so brutalisiert ist. In Berlin etwa, da leben viele junge Israelis.

Das haben wir auch erlebt, auf Massada oder unterwegs hat bei einer Gruppe immer jemand ein Sturmgewehr über der Schulter; das erzeugt auf keine Fall eine friedliche, entspannte Stimmung.
Am beeindruckendsten finde ich die Schlußsätze von Omer: Sie beschreiben eine heute so utopische Normalität im Nahen Osten, die wir hoffentlich noch erleben:

Aber Israel ist mir wichtig. Ich will Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Das ist mein Weg und den gehe ich. Deshalb muss ich dort leben. Urlaub mache ich gern außerhalb. Ich ginge, wenn es ginge, gern auf Partys in Beirut, ich würde gern Schnee in Syrien sehen.

Erstellt von tixus um 4:12 PM Kategorien: Buch, Gesellschaft

Donnerstag, Oktober 08, 2009

Linkes Leben

Taz-Salon im Haus 73 mit Karl Lauterbach (SPD-Politiker) und Jan Fleischhauer (Spiegel-Journalist) über die Linke bzw. den Linksbegriff. Karl Lauterbach erläuter seine 3 Grundpfeiler des "Linksseins": (00:35:25h): Links ist ein keine Lebenshaltung, sondern eine Idee von der Gesellschaft und auch ein materialistischer Konflikt.

  • Freiheitsideal - maximale Freiheit für jeden
  • Chancengleichheit - die Herkunft darf nicht bestimmen, wer etwas wird
  • Umverteilung, die es den Einkommensschwächsten ermöglicht, so gut wie irgend möglich zu leben

Dazu läßt sich viel weiterlesen und diesen kategorischen Imperativ verstehen: John Rawls und seine Thesen:

Die zwei Grundsätze der „Gerechtigkeit als Fairness“

1. Jeder Mensch soll gleiches Recht auf ein "völlig adäquates" System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.
2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind dann zulässig, wenn sie (a) mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die jedermann offen stehen (Prinzip der fairen Chancengleichheit), und wenn sie (b) denjenigen, die am wenigsten begünstigt sind, am meisten zugute kommen (Differenzprinzip).


Was die Linke angreifbar aber auch überheblich macht, ist der hohe moralische Anspruch und Veränderungswillen, den auch Karl Lauterbach mit seinen 3 Pfeilern skizziert. Den kann man wie Jan Fleischhauer in seiner Anekdote zur Hafenstraße lächerlich machen (6 Vertreter, je 3 Frauen/Männer, alle mit exakt gleicher Redezeit beim Interview), aber sich auf der althergebrachten und vielen gegenüber unfairen Struktur auszuruhen ist zu einfach. Denn dass es heute beim Kosmetikkauf auch um Tierversuche geht, das jedes gute Restaurant mindestens ein vegetarisches Essen anbietet ist den lächerlich in Regenbogenwollsachen gekleideten Menschen zu verdanken, die mit z.T. extremen Beispielen vorrangehen.
Und das ein Frau CDU-Kanzlerin ist, ist wohl eher ein Unfall als durch das Parteien-Gefüge auf natürliche Weise hervorgebracht. Die umstrittene Quote bei den Grünen hat gezeigt, dass es viele genauso eloquente, pragmatische und charismatische Frauen gibt, die in politische Positionen passen.

Aber an diesem Abend ist auch die von beiden beschriebene Diskrepanz unter den Linken von Anspruch und Wirklichkeit Thema und wird zu Recht kritisiert: Der linke, auch grüne Bildungsbürger ist auf jeden Fall für die Gesamtschule, aber er legt auch großes Geschick und Mühen daran, sein Kind aufs Gymnasium im richtigen Stadtteil zu schicken. Und es gibt die ganze Problematik rund um einen ökologischen aber modernen Lebensstil; dieser Spagat gelingt kaum jemandem.

Karl Lauterbach ist dann auch voller Verachtung für eine selbstbescheinigte "linke" Haltung aber einen "rechten" Lebenstil. Den Schuh müssen sich sicher viele anziehen.

Erstellt von tixus um 5:25 PM Kategorien: Gesellschaft

Mittwoch, Juni 03, 2009

Eff Dee Peh

Wenn schon der Chef der Unternehmer-Partei seinen Stammwähler erklären muss, wie Wirtschaft ohne Staat funktionieren sollte, ist das doch wirklich traurig. Denn diese Unternehmer sind wirklich nur eigenverantwortlich und egoistisch.

FDP-Chef Guido Westerwelle warnte im Deutschlandfunk vor Staatshilfen für Arcandor. "Ich hielte es für erforderlich, dass erst einmal die Eigentümer selbst mit in die Verantwortung genommen werden", sagte er. Bei Zahlungsproblemen seien in erster Linie die Eigentümer gefordert. Dabei müsse nötigenfalls auch auf die Substanz des Unternehmens zugegriffen werden, etwa auf das nach seiner Kenntnis hoch profitable Reisegeschäft. "Es kann doch nicht Aufgabe des deutschen Steuerzahlers sein, einer reichen Eigentümerfamilie ihr Eigentum zu retten", sagte Westerwelle. Schließlich gingen bei einem Verkauf etwa der Reisesparte nicht automatisch Arbeitsplätze verloren.

Wenn das Kaufhaus des Westens beispielsweise, ein tolles Kaufhaus, einen neuen Eigentümer bekommt, da geht doch kein Arbeitsplatz verloren, da schließt doch das Kaufhaus nicht, es gehört nur jemand anderem als bisher. Und die Leute, denen es jetzt gehört, die wollen es nicht verkaufen, weil sie wenig dafür kriegen, aber das ist nicht Aufgabe des Steuerzahlers, dass jemand sein Familienvermögen geschützt bekommt.

Man muss allerdings berücksichtigen, dass die Veraussetzungen nicht gleich sind: ~50.000 Einzelhandelsjobs von größtenteils Frauen, schlecht organisiert gegenüber den 26.000 Jobs von größtenteils Männern, sehr stark organisiert.

Erstellt von tixus um 12:05 AM Kategorien: Gesellschaft
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