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Dienstag, Mai 13, 2008

Börgerende-ZEIT Tabus

Am noch steinigen, windigen Strand läßt es sich nur mit Matte und Strandmuschel aushalten.

Dann kann aber umso genußvoller die ZEIT gelesen werden und es lohnt sich wieder einmal: Ein ausführliches Dossier (mirror) über die Familie, die aus Bruder, Schwester und 4 Kindern besteht:Es beleuchtet so viele Facetten des Inzest-Tabus, das fast eine Gesellschaftsstudie daraus wird - sehr interessant.

Susan K. liebt ihren Bruder Patrick S. auf eine Weise, die in Deutschland noch immer verboten ist. Das archaische Wort dafür lautet Blutschande, das modernere aus dem 19. Jahrhundert Inzest, unser Strafgesetzbuch spricht von Beischlaf zwischen Verwandten, und der kann, selbst wenn er aus Hingabe geschieht, mit Freiheitsentzug geahndet werden.

Warum? Das ist nicht leicht zu beantworten in einer Republik mündiger Bürger, wo Homosexualität und Ehebruch legalisiert sind und wo die sexuelle Selbstbestimmung, sofern sie niemandes Rechte verletzt, als Teil der Handlungsfreiheit gesetzlich garantiert ist. Denn der Paragraf 173 StGB bestraft nicht in erster Linie inzestuösen Missbrauch Abhängiger, der als Missbrauch ohnehin unter Strafe steht. Er bestraft auch nicht die Zeugung erbkranker Kinder oder Sex unter Brüdern. Er bestraft einvernehmlichen Vaginalverkehr mit »leiblichen Abkömmlingen« oder »leiblichen Verwandten aufsteigender Linie« oder »leiblichen Geschwistern« – ausdrücklich auch zwischen Erwachsenen.

Trotzdem ist das erste Argument gegen Inzest stets die Missgeburt. Wer Einwände wagt, dem werden ganze Alpendörfer volksgesundheitsgefährdender und krankenkassenbelastender Inzestkinder vor Augen gehalten. Seit der Radikaleugenik der NS-Zeit, als durch Zwangssterilisation, Euthanasie und schließlich Holocaust die Rassenhygiene ins Wahnhafte gesteigert wurde, sprechen die Deutschen zwar nicht mehr laut von »lebensunwertem Leben«. Aber dass Behinderte die Gemeinschaft belasten, Inzest den Genpool schädige, ist verbreitete Meinung.

Tatsächlich führt inzestuöse Fortpflanzung nicht zur Degeneration von Erbgut. Durch deckungsgleiche Erbanlagen erhöht sich nur die Wahrscheinlichkeit, dass vorhandene »defekte« Gene, die bei den Eltern rezessiv waren, beim Kind dominant werden. Dieses Risiko besteht bei allen Menschen. Humangenetiker nennen eine Wahrscheinlichkeit von 1,5 bis 3 Prozent bei »normalen« Paaren, bei Geschwisterpaaren 25 bis 40 Prozent. Diese Zahlen sind jedoch anfechtbar, da sie auf schmalen empirischen Studien aus den sechziger und siebziger Jahren beruhen. Entscheidend ist heute, dass Menschen mit erhöhtem Risiko, behinderte Kinder zu zeugen, sich nach deutschem Recht nicht strafbar machen, wenn sie dieses Risiko eingehen – Behinderte ebenso wenig wie Spätgebärende. ...Und wäre Sofia durch künstliche Befruchtung gezeugt worden, der Paragraf 173 hätte nicht zur Anwendung kommen dürfen. Trotzdem schwingen bei der Strafverfolgung von Patrick S. und Susan K. eugenische Argumente mit.

Thematisch wird dann ein halbes Jahr später am Fall Amstetten (mirror)die Entstehung und Bewertung von Tabus beschrieben.

Erstellt von tixus um 1:43 PM Kategorien:
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