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Ich raffe mich mal wieder zu einer Lesung auf und es lohnt sich:
Bachmann-Johson-Dt-Buchpreis-Gewinner Uwe Tellkamp.
Zum Einen ist er ein guter Vorleser (sowas ist bei Autoren ja nicht selbstverständlich): Anfangs erinnert er mich an den Henry-Maske-NVA-Tonfall, aber dann schafft er es, den Buchstaben noch etwas hinzuzufügen: Er liest einzelne Passagen mit dem Akzent der Figuren (sächselnd halt) und bringt die Stimmung gut zum Ausdruck.
Zum Anderen kann er die DDR differenzierter darstellen als alle anderen
öffentlichen Diskussionen, die ich dazu gesehen habe: Er räumt ganz
schnell mit liebgewonnenen, aber falschen Erinnerungen auf: Es war keine
Nestwärme oder viel menschlicher in der DDR, sondern vielmehr eine
"Notwärme", erzwungen durch vielfältigen Mangel und Beziehungswirtschaft
- nach der Wende haben sich die Menschen schliesslich nicht per se
verändert oder sind plötzlich andere, nur der früher notwendige
Zusammenhalt war nicht mehr nötig und ist dann auch schnell
weggebrochen. Eine zweite Sache war noch beeindruckender: Positive
Seiten darstellen ohne die damit verbundenen negativen Ursachen zu
übersehen oder auszublenden, wie es sonst gern bei sog.
DDR-Errungenschaften geschieht: Er sagt, dass die
DDR-Mediziner-Ausbildung viel besser war: Von der Pike auf haben bereits
14-Jährige Praktika in Krankenhäusern gemacht, den Boden gewischt,
Kompressen angelegt. Heute kann es passieren, dass Medizin-Studenten
nach etlichen Semestern das erste Mal eine Leiche oder Blut oder einen
Patienten sehen und erst dann merken, dass das ja wohl nichts für sie
ist. Demgegenüber steht aber natürlich eine viel freiere, individuelle
Lebensgestaltung, bei der nicht schon sehr früh und unwiderruflich
bestimmte Berufswünsche oder Zukunftspläne unmöglich gemacht werden. Was
dem Staat mit seiner teueren Ausbildung nützt und an die viele Regeln
und Vorleistungen gebunden waren, ist für den Einzelnen häufig zu eng
oder macht ihn unglücklich. Allgemein war das Leben in der DDR viel
linearer, fast statisch: Wenig Mobilität und wenige Berufswechsel.
Dann wird er noch vom Moderator gefragt, welche Frage er nicht gestellt bekommen möchte: "Die nach dem autobiografischen Hintergrund" - Trotzdem kommt er nicht drumherum, viel aus dem Umfeld und dem Leben auf dem Weißen Hirsch zu erzählen und eine interessante Frage zu beantworten: Was schreiben Sie, wenn die eigene Vergangenheit aufgebraucht ist?