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Samstag, Oktober 17, 2009

taz-Wochenend-Blog

taz-Nachlese

Nicht nur weil wir gerade wieder auf dem Weg in ein islamisch geprägtes Land sind, ist dieser Artikel und die besprochenen Bücher interessant (mirror), sondern er zeigt auf, das der Islam keine stromlinienförmige und von wenigen Geistlichen gelehrte und geführte Religion wie zum Beispiel der Katholizismus ist.

Die Muftis und die Moderne

ISLAMISCHES RECHT Steinigung und Ehrenmord - ist das alles? Allah bewahre! Zwei Überblicksdarstellungen zeigen das weite Spektrum islamischer Rechtsauffassungen

Mit Nachdruck hingewiesen wird vor allem auf die in Saudi-Arabien, Sudan und anderen islamischen Staaten vollstreckten drakonischen Körperstrafen und die Ungleichbehandlung der Geschlechter. All dies sei mit den freiheitlichen Normen eines säkularen Verfassungsstaates unvereinbar und deshalb hätten die westeuropäischen Zuwanderungsgesellschaften mit Teilen der wachsenden muslimischen Bevölkerungsgruppe ein ernstzunehmendes Problem.

Gegen diese einseitige und letztlich verzerrende Darstellung des islamischen Rechts wendet sich das neue Buch des Erlanger Islamwissenschaftlers und Juristen Mathias Rohe. "Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart" zeigt auf über 600 Seiten, dass es das eine islamische Recht zu keinem Zeitpunkt gegeben hat.

Mathias Rohe: "Das islamische Recht - Geschichte und Gegenwart"/Lukas Wick: "Islam und Verfassungsstaat. Theologische Versöhnung mit der politischen Moderne?"

Dann ein Artikel zu Vorurteilen (auch bei mir!) und wie Statistik unser Leben ruinieren kann ;-): (mirror)

Das überschätzte Gewicht KÖRPERBILDER
"Dick sein" wird negativ bewertet - warum eigentlich? Eine Initiative und ein neues Buch kämpfen gegen die Semiotik der angeblich "ungesunden", "doofen" und "undisziplinierten" Dicken

Am Unglaublichsten finde ich die Entstehung des BMI:

Doch aus den USA trat in den 90er-Jahren der Body Mass Index (BMI) auf den Plan. Bei dieser Formel multipliziert man die Körpergröße in Metern mit sich selbst. Dann teilt man das Gewicht durch diesen Wert. Eine Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf legte 1997 fest, dass ein Mensch mit einem BMI größer als 25 als "übergewichtig" und größer als 30 als "adipös", also fettleibig, zu gelten habe. Dies war eine statistische Festlegung ohne fundierte medizinische Begründung.

Die Beispiele zeigen schon, dass da etwas nicht stimmen kann:

Der BMI ist dabei ungenau, denn auch ein gut trainierter Mensch wie Brad Pitt hat einen "übergewichtigen" BMI, weil Muskeln schwerer sind als Fett. Außerdem steigt der BMI mit dem Alter und das ist nun mal keine Krankheit.

Zu den Vorurteilen:

Frauen und Männer aus den unteren sozialen Schichten essen beinahe genauso viel Obst wie Frauen und Männer aus der Oberschicht. Es kann also auch an den stressigen Lebensbedingungen, den niedrigen Preisen für kalorienreiche Lebensmittel und vielleicht auch der Verweigerung gegenüber bürgerlichen Körpernormen liegen, dass ärmere Menschen im Schnitt dicker sind.

Also stimmt es schon, dass ärme Menschen "im Schnitt" dicker sind. Die angeführten Gründe könnte man jedoch auch dem Kreislauf "weniger Bildung->weniger Einkommen->billigere Lebenmittel und schlechtere Wohnverhältnisse->mehr Stress" zuschreiben

Zuletzt noch etwas aus dem Nahen Osten (mirror): Dazu hatte ich mal auf einen Bildband verwiesen.

"Ich werde nicht den Mund halten" ENTSCHLOSSENHEIT Omer Goldmann hat in Israel den Kriegsdienst verweigert. Dafür kam sie ins Gefängnis. Sie wehrt sich gegen die Militarisierung der israelischen Gesellschaft.

Mich hat nicht so sehr der Militärdienst oder dessen Ablehnung interessiert, sondern analog zur DDR die Erkenntnis, das selbst jahrelange Indoktrinierung in Schule, Pioniergruppen oder Betrieb nicht wirken müssen:

Wo erleben Sie denn das Militärische in der Gesellschaft? Die Armee ist allgegenwärtig. Unsere Schulbücher sind voller Erklärungen, warum es wichtig ist, dass wir uns verteidigen. Dahinter steckt immer das Bild von einem Feind. Universelle Werte wie Solidarität, Frieden, Humanität, Geduld anderen Kulturen gegenüber, die gehen dabei verloren. Der Protest unserer Organisation richtet sich nicht gegen die Armee, sondern gegen die israelische Regierung... Dass man für zivilen Ungehorsam ins Gefängnis kommt, ist zutiefst inhuman. Es ist in Israel wirklich ganz normal, dass man zur Armee geht. Soldat sein, das ist wie atmen, wie essen, wie lernen.

Aber verständlich wird auch, dass sich eine Vielzahl Jugendlicher in ihr eigenes Leben zurückzieht:

Begehren viele junge Leute auf so wie Sie? Ich empfinde die meisten jungen Leute als abgestumpft. Es interessiert sie nicht, was in den besetzten Gebieten passiert. Es interessiert sie nicht, dass es in Israel Armut gibt. Davon erfahren sie nichts. Kritisches Denken wird nicht unterrichtet.

Machen die sich wirklich keine Gedanken um solche Themen? Kommen Sie, gucken Sie es sich an. Die wenigsten in Israel stört der militärische Mythos. Niemand nimmt im öffentlichen Leben Anstoß daran, dass überall Soldaten mit M 16-Gewehren rumlaufen. In jedem Zug, an jeder Straßenecke. Eine M 16, verstehen Sie, ist ein ganz normaler Gegenstand. Es ist normal für Leute, neben einer M 16 zu schlafen. Sie akzeptieren das. Viele, die das nicht ertragen, die das System kritisieren und Widerstand leisten, geben auf. Sie gehen dahin, wo die Gesellschaft nicht so brutalisiert ist. In Berlin etwa, da leben viele junge Israelis.

Das haben wir auch erlebt, auf Massada oder unterwegs hat bei einer Gruppe immer jemand ein Sturmgewehr über der Schulter; das erzeugt auf keine Fall eine friedliche, entspannte Stimmung.
Am beeindruckendsten finde ich die Schlußsätze von Omer: Sie beschreiben eine heute so utopische Normalität im Nahen Osten, die wir hoffentlich noch erleben:

Aber Israel ist mir wichtig. Ich will Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Das ist mein Weg und den gehe ich. Deshalb muss ich dort leben. Urlaub mache ich gern außerhalb. Ich ginge, wenn es ginge, gern auf Partys in Beirut, ich würde gern Schnee in Syrien sehen.

Erstellt von tixus um 4:12 PM Kategorien: Buch, Gesellschaft
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