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Mittwoch, August 25, 2010

Laute Gedanken

Eine Absolventin des Hamburger Ex-In (Experienced Involment) erzählt äussert interessant und reflektiert über ihre Belastung und den Heilungsweg. Eine solche Innenansicht ist sicher selten und gleichzeitig sehr hilfreich für die Haupt- und Ehrenamtlichen, um den Umgang von Ängsten und Spannungen zu befreien.

Sie hat "Stimmen hören" als laute Gedanken bezeichnet, und sich selbst möchte sie nicht als "Stimmenhörerin" betitelt wissen, schliesslich ist das nicht ihre "Beruf". Vielmehr ist sie Erzieherin und Tischlerin. Sie beschreibt, wie ihre Stimmen als Reaktion auf den Wegfall der ausserordentlichen Belastung ihrer Kindheit und Erziehung begannen. Sie macht plastisch, wie perfide die Stimmen aktive soziale Kontakte torpedieren und die Wirklichkeit immer wieder brüllend oder leise überlagern, auch in Person und Stimme von Freunden oder Bekannten. Eine Unterscheidung kostet viel Kraft und Selbstvertrauen, welches aber häufig erst aufgebaut werden muss.

Sie stellt auch klar, welche Art von Entgegentreten ihr nicht geholfen hat: Überverständige Leute, die meinten, "die Stimmen höre ich auch" - das führt eher dazu, dass die Verunsicherung noch größer wird. Im Gegenzug sind die "Negierer": "Das gibt es nicht, so ein Quatsch" treibt die Betroffenen noch mehr in die Enge, den für sie ist es ja als Sinneseindruck vorhanden. Ihre Erfahrung mit Medikamenten war sehr negativ: "Die haben mich zum sabbernden Zombie gemacht". Dann haben sie weder die Stimmen vertrieben, sondern sie nur "blechern" klingen lassen, mehr wurde ihr die Fähigkeit genommen, mit Aktivitäten und Kontakten gegen die Stimmen anzugehen - ein Versagen auf ganzer Linie.

Die erfolgreiche sozialpsychiatrische Institutsambulanz des UKE mit ihrem Leiter Thomas Bock (mirror) setzt daher auf einen anderen, in seiner Zunft wahrscheinlich revolutionären Weg:

Standardprogramme sind bei Psychosepatienten grundsätzlich fragwürdig. Psychoseerfahrene Menschen spüren besonders sensibel, ob Ihnen Respekt entgegengebracht wird, ob ihre Individualität gewürdigt wird, ob sie als Person oder als Symptomträger gemeint sind. Medikamente können hilfreich sein, doch nur im Kontext einer hilfreichen Beziehung.
Wird ein innerer Selbstbezug, ein Selbstverstehen erleichtert oder erschwert?
Eigensinn verweist auf Lebensqualität und innere Kraft. Wenn also in Zukunft ein Patient uns nicht in jedem Fall folgt, wenn er/sie die Standardmedikation nicht begeistert annimmt, sondern Vorbehalte äußert und wenn es uns gelingt, um Kooperation zu ringen, dann dürfen wir auf eine gute Prognose schließen. Wenn ein Patient aber allzu brav alles annimmt, was wir verschreiben oder vorschreiben, dann sollten wir skeptisch sein und uns fragen, was schief läuft und was wir falsch gemacht haben?

(Ex-In)

Auch erläutert sie den Teufelskreis aus sozialen Kontakten und Erstarken der Stimmen: Man kann nur gegen sie angehen, wenn man lernt, für sich einzustehen, wenn man Selbstbewusstsein und Kraft aufbaut - das geht mit vielfältigen sozialen Kontakte gut. Diese sind mit Vertrauen und Verlässlichkeit verbunden - beides kann enttäuscht werden und treibt in die Isolation, welche wiederum nicht zur Selbststärkung beiträgt.

Es gibt auch Menschen, die ihre Stimmen akzeptiert haben und mit ihnen leben, denen evlt. etwas fehlen würde, wenn man sie "heilen" würde. Generell plädiert die Absolventin dafür, sich selbst nur als "anders, aber nicht krank zu sehen".

Erstellt von tixus um 11:20 AM Kategorien:
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