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Freitag, November 19, 2010

Urlaubslektüre

Ich schaffe 5 Bücher auf der Sonnenliege.

Paul Nolte "Riskante Moderne": Ein ganz unglaubliches Sachbuch - trotz keineswegs leichtem Inhalt und Formulierungen aus der Soziologie liest es sich flüssig und äusserst unterhaltsam. Enorm viel Futter für den Geist und häufiger habe ich das Gefühl, das hier jemand genau formuliert und aufgeschriebene hat, was an Gedanken, Ahnungen und auch Vorurteilen in mir herumschwirrt. Er analysiert das Grundgefühl, dass ich schon länger habe: Risiko, Leben, Unsicherheit, Existenzsorgen, obwohl keine vordergründigen Nöte da sind. Aber ich frage mit oder der Armutsdebatte, dokumentierte Ausbildungsunfähigkeit und Hartz IV ob ich in einem besonderen Raumschiff kreise, mit meinen Peers: Freie Wahl des Berufs und Arbeitsplatzes, Urlaube, Eigenheimplanungen, Luxusartikel. Alles steht uns offen, wenn auch nicht unbedingt der Vorstandsposten (obwohl ich es 1-2 noch zutraue) oder ein Torerfolg in der Bundesliga. Nur man fragt sich, ob das alles echt und von Dauer ist, wenn drumherum Menschen in Job- und Geldnot versinken. Die rausgeschriebenen Zitate und Gedanken folgen noch.

Douglas Coupland "Eleanor Rigby": Ein warmherziges, anrührendes und zugleich sehr lustiges Buch über "Elizabeth „Liz“ Dunn, 36, übergewichtig und einsam". Ihr wohlgeordnetes, langweiliges Leben erlebt einen heftigen Windstoss als der 20-jährige Jeremy sich als ihr Sohn vorstellt. Er verstirbt kurz darauf an Multipler Sklerose. Die Zeit dazwischen nutzen Mutter und Sohn für intensive Zweisamkeit und die Entdeckung ihrer Eigenheiten. Nachfolgend einige Zitate ohne Ordnung:
Letztlich neigen Menschen, denen das Augenlicht geschenkt wird, dazu, sich in ihre eigene Welt zurückzuziehen. Manche betteln sogar darum, wieder blind zu werden, doch wenn sie es sich dann genau überlegen, werden sie unsicher un stellen fest, dass sie doch nicht mehr auf ihre Sehkraft verzichten können. Besser miese Bilder als gar keine Visionen.
Die Liz Dunns dieser Welt heiraten, und legen sie sich dreiundzwanzig Monate nach der Hochzeit und der Geburt ihres ersten Kindes eine vernünftige, pflegeleichte Frisur zu...
Wenn ich zwanzig Jahre in der Zeit zurückreisen und meinem jüngeren Ich einen einzigen Rat geben könnte, dann würde er lauten: "Mach dir nicht so verdammt viele Sorgen."
Leslie drehte eine Pirouette auf meinem Teppich. Neben ihrer Schönheit wirke ich wirklich wie ein genetischer Witz. Als wir noch klein waren, waren wir davon überzeugt, dass wir keine leiblichen Schwestern sein konnten.
Am nächsten Tag war im Büro Legerer Freitag, ein abscheulicher Brauch, bei dem sich die Männer wie Teenager kleiden dürfen und die Frauen wie Schlampen.
Es ist ziemlich aussergewöhnlich. Es gibt auch einen Namen dafür: Melodioanagrammatizismus. - Du wusstest nicht, dass dein Sohn rückwärts singen kann? - Lange Geschichte.
Sie wird ausrasten. Und das tat sie. Es war eine hässliche Szene. Wenn man einmal miterlebt hat, wie jemand durchdreht, kann man ihn nie wieder so sehen wie vorher.
Nur Versager fällen Entscheidungen, wenn die Dinge schlecht stehen. Sein Leben umstrukturieren sollten man dann, wenn scheinbar alles glatt läuft. Nutze die kurzen Ruhephasen, um dich auf die nächste Ebene zu hieven.
Es ist schön, einmal die Stadt zu sehen, in der das Unterbewusstsein erfunden wurde. Woher wissen wir denn, dass unsere Persönlichkeit nicht aus fünf oder sechs verborgenen Schichten besteht? - Ich tippe auf vier. - Das öffentliche Ich, das private Ich und das geheime Ich. - Das sind nur drei. - Das vierte ist das dunkle Ich - das, das am Steuer sitzt, das im Besitz der Landkarte ist, das habgierig, vertrauensselig, oder voller Hass ist.
Sind Sie gegen irgendwas allergisch? Nein. Aber ich habe Probleme mit Fleisch, dessen Bezeichnung für die Funktion steht, die es mal hatte, bevor es zu Fleisch wurde. Zum Beispiel Leber. Oder Niere. - Hi, bevor ich mit Zwiebeln sautiert wurde, habe ich mein Leben damit verbracht, Verunreinigungen aus dem Blut einer Kuh zu filtern.
Mutter kaufte einen Sarg, der aussah wie der letzte Wunsch eines sterbenden Zuhälters: ein Ungetüm in Rotbraunmetallic mit Zierleisten aus Eiche, einen Kühlergrill aus Chrom, Lederverkleidung und einer Kühlerfigur.

Truman Capote "Sommerdiebe": Sein erster Roman, im Nachlass entdeckt und leicht geschrieben, mit gar nicht so leichtem Inhalt: NY-Grossstadt und tragische Sommerliebe in der hitzigen Metropole.

Tom Rachmann "Die Unperfekten": Ein vielgelobtes Debut und so frisch, dass gerade die Rezensionssperrzeit abgelaufen ist. Kurz gesagt ist es für mich kein Buch für die Sonnenliege. Ätzende Geschichten mit durchweg tragischen Figuren, die nicht "nicht perfekt" sondern ganz schön defekt sind. Kein Kapitel endet "happy", das ist erstmal nicht schlimm, aber es gibt so viele faule Kompromisse und unerträgliche Beziehungen... Das Buch lässt den Leser auf keinen Fall kalt, und das ist ja auch schon eine gute Emotion.

Das fünfte Buch ist noch nicht erschienen und ich will die beste Ehefrau von allen ja nicht um ihren Job bringen, wenn ich vor der Sperrfrist darüber schreiben würde.

Erstellt von tixus um 1:46 PM Kategorien: Buch
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