« Diese kleinen Rosstäuscher | Main | Wikileaks und wir »
Der Artikel ist schon etwas älter (ich arbeite alle meine (elektronischen/papiernen) Ablagen ab), aber sehr interessant und neu für mich: Thing Studies und Konsumismus
Bekanntlich machte nicht der Kapitalismus dem real existierenden Sozialismus den Garaus. Der Kapitalismus ist bloß eine Wirtschaftsform, keine Ideologie - der Sieger war der Konsumismus, mehr als eine Ideologie, eine Lebensform.
Es wäre also nützlich, sich die Dinge, die im Zentrum des
Konsumismus als Lebensform stehen, unabhängig von den Vorgaben der
Kulturkritik (die meist von Martin Heidegger stammen) anzuschauen. Und
tatsächlich, in der angloamerikanischen Welt, die uns wieder einmal
voraus ist, beschäftigt sich eine ganze Disziplin mit "Thing Studies"
und "Material Culture Studies".
Ihr Meister ist gewiss
Daniel Miller, britischer Anthropologe, Jahrgang 1954, der schon 1998
eine "Theory of Shopping" veröffentlicht hat. Das von ihm nun auf
Deutsch erschienene Buch "Der Trost der Dinge" zeichnet 15 Porträts ...
- wobei eine von Daniel Millers wiederkehrende Pointe ist, dass der
Konsum, anders als die Kulturkritik es will, den Konsumenten nicht
einsam macht (mit der Bierflasche vor dem Fernseher verdämmern), nein,
die Dinge vergesellschaften die Leute.
... dass das Angebot strikt genormt ist, störte den Literaturprofessor; der Gedanke taucht ebenso bei dem oben zitierten Philosophieprofessor, Konrad Paul Liessmann, auf: Es handelt sich allerdings um ein kulturkritisches Klischee. Schaut man wie Daniel Miller den Leuten wirklich zu, erweist sich der Konsum als hoch individualisierte Praxis. Es ist wie mit dem Lesen: Jeder liest sein eigenes Buch.
"Unser Hang zum Materialismus verschuldet sich zu großen Teilen dem paradoxen Bedürfnis, die Fluidität des Bewusstseins in die Solidität der Dinge umzuwandeln", heißt es in einem Sammelband mit ausgewählten amerikanischen Thing Studies, das Korsett, die Nähmaschine, Tupperware, der Fernseher.
Daniel Miller: "Der Trost der Dinge. Fünfzehn Porträts aus dem London
von heute". Suhrkamp, Berlin 2010. 230 Seiten, 15 Euro
Anke
Ortlepp/ Christoph Ribbat (Hg.): "Mit den Dingen leben. Zur Geschichte
der Alltagsgegenstände". Franz Steiner, Stuttgart 2010. 339 Seiten,
26,90 Euro
Konrad Paul Liessmann: "Das Universum der Dinge. Zur
Ästhetik des Alltäglichen". Paul Zsolnay, Wien 2010. 208 Seiten, 17,90
Euro