Fürn Kopp
Die taz ist doch immer wieder gut fürn Kopp: Artikel wie dieser sind
gute Anregungen, über den Tellerrand zu schauen:
Frankreich und Armenien und die
Geschichte (mirror):
In Frankreich dagegen soll mit dem Gesetz die Leugnung der
Vernichtung bestraft werden. Daraus ergeben sich fünf Probleme.
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Außer den für alle geltenden Gesetzen unterliegen Historiker
keinen gesetzlichen Vorgaben, sondern nur den methodischen Regeln nach
dem Stand der Wissenschaft. Historiker sind keine Richter, sie
verkünden - anders als diese - keine Urteile auf der Basis
gesetzlicher Normen, sondern präsentieren Erkenntnisse ihrer Arbeit,
die permanenter Fachkritik ausgesetzt sind und durch neue Erkenntnisse
überholt werden können
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Zweitens: Der Straftatbestand Verbrechen gegen die
Menschlichkeit wurde bei den Nürnberger Prozessen 1945 geschaffen und
ist ins Völkerrecht eingegangen. Die Begriffe Völkermord oder Genozid,
seit 1948 Begriffe des Völkerrechts, haben trotzdem "eine magische
Aura" - so der Historiker Pierre Nora, der sich intensiv mit
Erinnerungskulturen beschäftigt hat. Wie viele Historiker plädiert er
dafür, statt dieser Wörter etwa Vernichtung, Ausrottung oder
Massenverbrechen zu verwenden, die weniger "emotional, politisch und
ideologisch" kontaminiert seien. Es ist genau diese Kontamination der
Begriffe, die - je nach Bedarf - der Sakralisierung oder Banalisierung
von historischen Verbrechen Vorschub leisten. Die Sakralisierung wie
auch die Banalisierung stehen der historischen Aufklärung aber im Weg.
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Drittens: Die Verteidigung des Gesetzes gegen die Leugnung des
Massenmords an den Armeniern verdankt sich dem Vergleich mit der
Ausrottung der europäischen Juden. Dieser Vergleich trägt nicht, denn
Frankreich hat weder mit den Opfern des Verbrechens noch mit den
Tätern auch nur das Geringste zu tun.
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Viertens: Aus juristischer Sicht bezweifelt der ehemalige
französische Justizminister Robert Badinter die verfassungsmäßige
Zuständigkeit der französischen Legislative für ein Gesetz zu den
geschichtlichen Vorgängen in Armenien und im Osmanischen Reich 1915
ebenso wie die Kompetenz des Parlaments, "offizielle historische
Wahrheiten" zu verkünden.
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Auch politisch und moralisch gesehen, hat der Staat nicht die
Aufgabe, historische Wahrheiten festzuschreiben, wohl aber dafür zu
sorgen, dass die Erinnerung an die Opfer durch Erziehung und andere
geeignete Mittel gepflegt wird.
Erstellt von tixus um 12:13 AM
Kategorien:
Gesellschaft