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Sonntag, Januar 29, 2012

Fürn Kopp

Die taz ist doch immer wieder gut fürn Kopp: Artikel wie dieser sind gute Anregungen, über den Tellerrand zu schauen:

Frankreich und Armenien und die Geschichte (mirror):

In Frankreich dagegen soll mit dem Gesetz die Leugnung der Vernichtung bestraft werden. Daraus ergeben sich fünf Probleme.

  1. Außer den für alle geltenden Gesetzen unterliegen Historiker keinen gesetzlichen Vorgaben, sondern nur den methodischen Regeln nach dem Stand der Wissenschaft. Historiker sind keine Richter, sie verkünden - anders als diese - keine Urteile auf der Basis gesetzlicher Normen, sondern präsentieren Erkenntnisse ihrer Arbeit, die permanenter Fachkritik ausgesetzt sind und durch neue Erkenntnisse überholt werden können
  2. Zweitens: Der Straftatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde bei den Nürnberger Prozessen 1945 geschaffen und ist ins Völkerrecht eingegangen. Die Begriffe Völkermord oder Genozid, seit 1948 Begriffe des Völkerrechts, haben trotzdem "eine magische Aura" - so der Historiker Pierre Nora, der sich intensiv mit Erinnerungskulturen beschäftigt hat. Wie viele Historiker plädiert er dafür, statt dieser Wörter etwa Vernichtung, Ausrottung oder Massenverbrechen zu verwenden, die weniger "emotional, politisch und ideologisch" kontaminiert seien. Es ist genau diese Kontamination der Begriffe, die - je nach Bedarf - der Sakralisierung oder Banalisierung von historischen Verbrechen Vorschub leisten. Die Sakralisierung wie auch die Banalisierung stehen der historischen Aufklärung aber im Weg.
  3. Drittens: Die Verteidigung des Gesetzes gegen die Leugnung des Massenmords an den Armeniern verdankt sich dem Vergleich mit der Ausrottung der europäischen Juden. Dieser Vergleich trägt nicht, denn Frankreich hat weder mit den Opfern des Verbrechens noch mit den Tätern auch nur das Geringste zu tun.
  4. Viertens: Aus juristischer Sicht bezweifelt der ehemalige französische Justizminister Robert Badinter die verfassungsmäßige Zuständigkeit der französischen Legislative für ein Gesetz zu den geschichtlichen Vorgängen in Armenien und im Osmanischen Reich 1915 ebenso wie die Kompetenz des Parlaments, "offizielle historische Wahrheiten" zu verkünden.
  5. Auch politisch und moralisch gesehen, hat der Staat nicht die Aufgabe, historische Wahrheiten festzuschreiben, wohl aber dafür zu sorgen, dass die Erinnerung an die Opfer durch Erziehung und andere geeignete Mittel gepflegt wird.
Erstellt von tixus um 12:13 AM Kategorien: Gesellschaft
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