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Sonntag, April 29, 2012

Freiheit die ich meine - ein Leben im Falschen

Freiheit hat viele Facetten. Frau Recki hat sehr kluge Gedanken dazu:

Sie erinnern sich doch auch noch an den Gemeinplatz, dass Treue nichts anderes ist als ein bürgerliches Besitzverhältnis. Mehrere Generationen von Studenten haben so gelebt und entsprechend ihren Liebsten, ihren Lieben, ihren Partnern und sich selbst manche Kränkung angetan. Dieser grenzenlose Anspruch auf Freiheit - das ging einfach nicht.

Der Gerechtigkeitsbegriff lässt es ja zu, ökonomisch operationalisiert zu werden. Man denkt fast sofort an Verteilungsgerechtigkeit im Sinne wirtschaftlicher Güter. Aber an dem Diskurs, der sich vor der Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten entfaltete, störte mich doch sehr diese Gedankenlosigkeit, besser Begriffsstutzigkeit.

Er lässt gar keinen Zweifel dran, dass für ihn der Freiheitsbegriff mit Verantwortung zusammenhängt. Damit ist aber auch gesagt, dass er nicht irgendeine haltlose, anarchoide, rücksichtslose, völlig bindungslose Freiheitskonzeption vertritt, sondern dass es immer so ist, dass die Freiheit des einen ihre Grenzen an der ebenso berechtigten Freiheit des anderen findet, und damit ist die Frage nach der gleichmäßigen Sicherung von Ressourcen zur Realisierung der Freiheit aller bereits präsent. Man hätte sich die ganze Zeit schon klar machen können, dass er allein deshalb immer in der Nähe der Gerechtigkeit ist - und die Ignoranz, die da im Diskurs ausgelebt wurde, ist schon besonders verantwortungslos.

Es gibt doch einfach gedankliche Vorordnungs- und Nachordnungsverhältnisse: Was würden wir denn von einer Gerechtigkeit halten, die komplette Gleichverteilung aller vorhandenen Güter leistet, das aber in einer Diktatur? (Hier)... gibt es - ohne den Gedanken der Freiheit - durchaus die Möglichkeit einer Gerechtigkeit in einem totalitären System. (Man) ... kommt man zu dem Ergebnis, dass eine solche Gerechtigkeit nichts wert ist. Also eine, bei der ich alles zugeteilt bekomme, was ich zum Leben brauche und der Nachbar auch nicht mehr bekommt als ich, ich aber keine bürgerlichen Rechte habe, gerade auch Rechte gegen den Staat, die die freiheitliche Verfassung gewährt.

Frau Recki, zur linken Tradition gehört auch die Mutmaßung, es gebe kein wahres Leben im falschen - so Theodor W. Adorno. Und was meinen Sie?
Das "Wahre" wird sich wohl immer nur im Kontrast zum Falschen erkennen und ermessen lassen. Insofern kann man sagen: Wahres Leben gibt es in gewissem Sinne gerade nur im falschen. Es setzt doch den Kontrast voraus. Nur wenn ich ein Bewusstsein von dem habe, was falsch ist, unterziehe ich mich der Mühe, "das Wahre" herauszufinden.

Ich bin auch über eine Sendung mit R-D-Precht gestolpert, die den Begriff der positiven und negativen Freiheit erläutert. Allein schon die Beschäftigung mit diesen Gedanken macht zufriedener als ein neues Fahrrad oder Kamera.

Interessante Gedanken auch von Robert Misik:

Wenn die Konservativen im Grunde behaupten, dass erstrebenswerte Grundprinzipien wie „Freiheit“ und „Gleichheit“ wie kommunizierende Gefäße funktionieren, wir also, wenn wir Freiheit wollen, Ungleichheit in Kauf nehmen müssen, und umgekehrt, wenn wir mehr Gleichheit wollen, dafür die Freiheit opfern müssten, dann haben sich die Linken ein wenig in dieses Setting gefügt: Sie haben den Konservativen den Freiheitsbegriff überlassen und sich ganz auf die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „mehr Gleichheit“ kapriziert.

Das ist natürlich eine Falle: Denn „Freiheit“ und „Gleichheit“ sind keine Antipoden, sondern Zwillinge. Freiheit unter den Bedingungen von Ungleichheit hat grob freiheitseinschränkende Wirkungen für jene, die weniger begütert sind, die weniger materielle und kulturelle Ressourcen haben.

Erstellt von tixus um 10:01 PM Kategorien: Gesellschaft
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